Pressekonferenz von Bundeskanzler Scholz und dem Generalsekretär der Nato Stoltenberg nach dem gemeinsamen Gespräch am 10. Dezember 2021 in Brüssel

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Pressekonferenz von Bundeskanzler Scholz und dem Generalsekretär der Nato Stoltenberg nach dem gemeinsamen Gespräch am 10. Dezember 2021 in Brüssel

(Die Protokollierung des fremdsprachlichen Teils erfolgte anhand der Simultandolmetschung)

  • Mitschrift Pressekonferenz
  • Freitag, 10. Dezember 2021

GS Stoltenberg: Herr Bundeskanzler, lieber Olaf, ich begrüße Sie bei der Nato. Wir haben uns schon häufig getroffen. Aber heute treffen wir uns zum allersten Mal, seit Sie Bundeskanzler geworden sind. Ich gratuliere Ihnen zu dieser Wahl und freue mich auf die Zusammenarbeit mit Ihnen. Ich weiß, dass Sie ein deutlicher Unterstützer des transatlantischen Bündnisses sind. Ich habe bereits lobende Worte für Ihre Führungsrolle gefunden. Ich freue mich, dass wir, Nordamerika und Europa, weiterhin eng zusammenarbeiten werden. Deutschland ist ein wichtiger Bündnispartner, der in vielfacher Weise einen Beitrag zur kollektiven Sicherheit leistet.

Die EU ist Teil unserer Mission in der Ostseeregion. Deutsche Flugzeuge nehmen an der Überwachung des Luftraums im Rahmen des baltischen Luftraumüberwachungseinsatzes teil. Sie sind aktiv in Litauen bei der Ausbildung der Truppen und unterstützen auch unsere Mission im Kosovo. Auch die multinationale Battlegroup der Nato in Litauen ist ein Bereich, in dem Sie aktiv sind.

Heute haben wir über den militärischen Aufwuchs russischer Truppen an der Grenze zur Ukraine gesprochen und über die Spannungen, die die Sicherheit Europas zu bedrohen scheinen. Wir fordern Russland auf, diese Truppen abzuziehen, zur Deeskalation beizutragen und die territoriale Unversehrtheit der Ukraine zu respektieren. Weitere aggressive Maßnahmen gegenüber der Ukraine werden einen Preis für Russland mit sich bringen. Sie werden deutliche wirtschaftliche Folgen für Russland haben.

Wir begrüßen die Gespräche zwischen dem amerikanischen und dem russischen Präsidenten und Deutschlands schon lange andauernden Anstrengungen im Rahmen des Normandie-Formats mit dem Ziel einer politischen Lösung des Problems. Die Nato bleibt weiterhin offen gegenüber einem Dialog. Es ist wichtig, einen Dialog zu verfolgen, wenn die Spannungen groß sind.

Es ist wichtig, dass wir uns wieder im Nato-Russland-Rat treffen, um die Transparenz zu erhöhen und die Gefahr von Fehlkalkulationen zu beseitigen. Wir wollen weiterhin das transatlantische Bindeglied stärken in einer Region, in der Länder wie Russland und China die regelbasierte Ordnung untergraben, die Nachbarn gefährden und nukleare Fähigkeiten ausbauen. Weder Europa noch Nordamerika können sich diesen Herausforderungen alleine stellen. Deshalb müssen wir innerhalb der Nato stark und geeint bleiben.

Wir haben heute auch über die Bedeutung der Stärkung des Bindeglieds zwischen der Nato und der Europäischen Union gesprochen. Die EU ist für die Nato ein strategischer Partner. Wir sind entschlossen, noch mehr gemeinsam zu unternehmen.

Olaf, noch einmal herzlichen Glückwunsch und herzlich willkommen!

BK Scholz: (auf englisch) Vielen Dank, dass Sie mich eingeladen und mir die Chance gegeben haben, hier mit Ihnen zu sprechen und die Diskussion fortzuführen, die wir in der Vergangenheit geführt haben. Wir treffen uns ja hier nicht zum ersten Mal. Das ist eine sehr umfassende Diskussion, die wir in der Vergangenheit schon geführt haben und die wir in Zukunft fortführen werden.

Die neue Regierung in Deutschland arbeitet aktiv in der transatlantischen Partnerschaft. Wir wissen, dass die Nato und diese Partnerschaft für unsere Sicherheit von Bedeutung sind. Jeder kann sich darauf verlassen, dass er Teil der Agenda der neuen Regierung bleiben wird und dass wir alles in unserer Macht Stehende tun werden, um zur Sicherheit durch die Nato beizutragen.

Wir haben heute über eine Reihe von Themen gesprochen. Das Wichtigste war sicherlich, wie wir die Sicherheit der Ukraine weiterhin gewährleisten können, dass sie nicht weiterhin gefährdet wird und dass sich die Menschen und Staaten in Europa auch auf das verlassen können, wozu man Vereinbarungen getroffen hat, nämlich dass keine Grenzen verändert und keine Aggressionen gegen andere Staaten durchgeführt werden. Das ist nun unsere wichtigste Aufgabe. Daran müssen wir besonders hart arbeiten, um sicherzustellen, dass die Sicherheit auch gegenüber der Ukraine gewährleistet wird und dass niemand dies gefährdet. - Das ist das, worüber wir heute gesprochen haben.

Ich freue mich, hier zu sein. Wir werden sicherlich weiter im Gespräch bleiben.

Frage: Herr Stoltenberg, meine erste Frage geht an Sie. Heute Nachmittag hat Russland die Nato gedrängt, ihr Versprechen aus dem Jahr 2008 zu brechen, was die ukrainische Mitgliedschaft in der Nato anbetrifft. Sind Sie dazu bereit?

Eine zweite Frage an den Bundeskanzler. Vielleicht können Sie auf Deutsch antworten. Ich frage auch auf Deutsch. Sie haben mehrfach versprochen, dass Sie nicht mehr Politik über die Köpfe der Nachbarn hinweg machen wollen. Fünf Nato-Staaten wollen jetzt alleine mit Russland reden, ohne Osteuropäer. Die osteuropäischen Mitgliedstaaten der Nato sind darüber extrem verärgert. Wie passt beides zusammen?

GS Stoltenberg: Was die Position der Nato zum Verhältnis der Ukraine betrifft, so ist diese Position nicht verändert worden. Jede Nation hat das Recht, ihren eigenen Weg zu bestimmen. Dies ist in einer Reihe von Dokumenten niedergelegt, auch in Dokumenten, die von Russland unterzeichnet wurden, zum Beispiel die Schlussakte von Helsinki 1975 und die Pariser Charta. Auch viele andere Dokumente enthalten diese klare Aussage. Ein souveräner, unabhängiger Staat hat das Recht, seinen Weg zu bestimmen und zu entscheiden, welcher Sicherheitsvereinbarung es sich anschließen möchte. Unsere Beziehung zur Ukraine wird beeinflusst und entschieden werden von den Bündnispartnern innerhalb der Nato und der Ukraine, und nicht von irgendeinem anderen Land. Wir können auch nicht zulassen, dass hier ein System geschaffen wird, in dem mächtige Staaten wie Russland, die ja Einflussbereiche haben, diese Einflussbereiche ausdehnen, wo sie dann entscheiden, was andere Staaten zu tun und zu lassen haben. Wir sind gerne bereit, mit Russland darüber zu sprechen, aber sie haben ganz sicherlich nicht das Recht, den Sicherheitsweg anderer Staaten zu bestimmen.

BK Scholz: Ich will gerne noch einmal darauf zurückkommen, dass die wichtigste Aufgabe jetzt ist, dafür zu sorgen, dass Sicherheit in Europa gewährleistet wird, und zu dieser gemeinsamen Sicherheit in Europa gehört eben auch die Unverletzbarkeit und Unverletzlichkeit der Grenzen. Deshalb ist es wichtig, dass alle in Europa gemeinsam und auch wir alle als Verbündete klar machen, dass wir eine Gefährdung der Integrität der Ukraine nicht akzeptieren würden. Das ist, glaube ich, auch deutlich geworden in all den Gesprächen der letzten Zeit.

Klar ist, dass es jetzt wichtig ist, dass man darüber auch in einem Gespräch ist, und das wichtigste Format, das wir dazu haben, ist das Normandie-Format, das wir auch für die Zukunft weiter nutzen wollen. Da sind feste Verabredungen getroffen worden, die jetzt umgesetzt werden müssen, und das wird auch wichtig sein. Ansonsten werden wir natürlich in all den Strukturen, die wir miteinander haben, darüber diskutieren, wie wir gemeinsam dafür Sorge tragen können, dass dieses Prinzip der gemeinsamen Sicherheit in Europa auch tatsächlich gewährleistet werden kann.

Frage: Herr Bundeskanzler, das Zwei-Prozent-Ziel der Nato ist im Koalitionsvertrag ja nicht erwähnt. Es gibt auch kein klares Bekenntnis zur nuklearen Teilhabe der Nato. Seitens der Grünen, aber auch aus Ihrer Partei gibt es sogar Forderungen nach einem Abzug der US-Atombomben aus Deutschland. Haben Sie hier heute gegenüber dem Generalsekretär der Nato ein Bekenntnis zum Zwei-Prozent-Ziel und zur nuklearen Teilhabe abgegeben?

Herr Generalsekretär, machen Sie sich Sorgen, dass die nukleare Abschreckung zu etwas wird, wo es keine Verpflichtung seitens der Deutschen gibt, ebenso wenig wie zu dem Zwei-Prozent-Ziel?

BK Scholz: Schönen Dank für Ihre Frage. Wenn ich das richtig verstanden habe, sind überall alle sehr froh über die Formulierung, die die jetzigen Regierungsparteien in ihrem Koalitionsvertrag gefunden haben. Deshalb empfehle ich Ihnen auch noch einmal eine genauere Lektüre auch all der Passagen, die sich dort zur nuklearen Teilhabe finden. Die lassen sich nicht so zusammenfassen, wie Sie das gerade versucht haben.

Im Übrigen ist es so, dass wir natürlich alles dafür tun, dass wir die Bundeswehr gut ausstatten. Das ist in den letzten vier Jahren bereits eine der wichtigen Aktivitäten gewesen, die ich in anderer Funktion unternommen habe. Die Verteidigungsausgaben Deutschlands sind in einer Weise gestiegen, wie das viele, viele Jahre nicht der Fall war. Das ist auch etwas, was wir jetzt im Rahmen der Haushaltsmöglichkeiten, die wir haben, fortsetzen werden. Man kann an der Praxis der letzten Jahre, aber auch an den Verständigungen der Regierungsparteien sehen, dass wir eine gut ausgestattete Bundeswehr für unverzichtbar halten und dafür auch Sorge tragen werden.

GS Stoltenberg: Zunächst möchte ich sagen, dass das Ziel der Nato darin besteht, eine Welt ohne Nuklearwaffen zu haben. Gleichzeitig sind wir uns aber der Tatsache bewusst, dass, solange diese Waffen existieren, die Nato weiterhin ein nukleares Bündnis sein wird. Wir sehen schließlich nicht ein, dass wir unsere Waffen vernichten, bevor Russland und China gleiches getan haben; denn das macht die Welt nicht sicherer. Dahin gelangt man aber, indem man ausgewogene, verifizierbare Rüstungskontrollmaßnahmen durchführt. Deshalb begrüße ich die Koalitionsvertrag, in der eine klare Botschaft zum Thema nukleare Teilhabe enthalten ist.

Ich begrüße auch die sehr deutliche Verpflichtung in dieser Koalitionsvereinbarung, wo Deutschland sagt, dass es sich weiterhin an seine Verpflichtungen gegenüber der Nato hält und engagiert daran arbeitet, das Zwei-Prozent-Ziel zu erreichen. Das lässt sich nur erreichen, indem man immer mehr in die Verteidigung investiert. Wir sind uns hier alle der Tatsache bewusst, dass auch der Bundeskanzler - - Olaf und ich sind ja beide Finanzminister gewesen; wir wissen, dass es schwierig ist, Geld zu finden. Mehr Geld für die Verteidigung muss bedeuten, dass es woanders weniger Geld gibt. Es ist nicht immer so leicht, für die Verteidigung genug Geld zu finden. Aber wenn wir daran denken: Nach dem Kalten Krieg sind die Ausgaben zurückgegangen, und seither sind die Ausgaben wieder angestiegen. Deutschland hat im Verlaufe der letzten Jahre seine Verteidigungsausgaben deutlich hochgefahren. Das Ziel ist klar, der Weg ist auch klar. Wir müssen in die Fähigkeiten investieren, wir müssen unsere Ziele, die wir uns selbst gesetzt haben, erreichen und somit weiterhin die Verteidigungsausgaben hochfahren.

Vielen Dank!