Pressekonferenz von Bundeskanzler Scholz und Bundesminister Lindner zum G20-Gipfel in Neu-Delhi am 10. September 2023

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BK Scholz: Meine Damen und Herren, es waren sehr wichtige Beratungen, die die G20 jetzt miteinander hatte. Man kann auch sagen: Hier ist ein Gipfel der Entscheidungen zusammengetreten, bei dem viele Dinge vorangebracht worden sind, die wichtig für die weitere Entwicklung der Welt sind.

Das gilt zuallererst für die großen Fragen, die sich um den Klimawandel drehen. Ich bin sehr froh darüber, dass wir hierbei nicht zurückgefallen sind, sondern weiterhin ambitioniert bleiben und dass es eine gute Kooperation zwischen den Ländern der Welt gibt, denjenigen, die klassische Industrieländer sind, und denjenigen, die Entwicklungsoptionen für die Zukunft suchen und deshalb in einer weltweiten Partnerschaft natürlich gebraucht werden, die darauf ausgerichtet ist, zur Mitte dieses Jahrhunderts weltweit CO2-neutral zu wirtschaften. Das ist zugleich auch ein großes ökonomisches Modernisierungsprojekt.

Deshalb ist es auch wichtig, dass hier Entscheidungen vorangebracht und diskutiert worden sind, die sich mit der weltweiten Finanzarchitektur und den Fragen, die damit zusammenhängen, beschäftigen. Wie gelingt es uns, dass gute Entwicklungen auch auf dieser Basis möglich sind? Es ist bedeutsam, dass das auch hier wieder eine Rolle gespielt hat.

Das Dritte ist natürlich - das gehört zu den Entscheidungen dazu, die hier getroffen worden sind - ein klares Bekenntnis dazu, dass die territoriale Integrität von Staaten wie der Ukraine außer Frage steht, dass nicht mit Gewalt Grenzen verschoben werden sollen. Ich bin auch sehr froh darüber, dass hier noch einmal ein klares Bekenntnis gegen den Einsatz nuklearer Waffen zum Ausdruck gebracht worden ist.

Das sind, wie ich finde, gute Ergebnisse, die für diesen Gipfel festgehalten werden können.

Für mich ist auch wichtig, dass es hier ein neues Miteinander zwischen den klassischen Staaten des Nordens, in Europa und im Norden Amerikas, und den Ländern im Süden Amerikas, Asiens und Afrikas gegeben hat, eine gute Kooperation mit bedeutenden G20-Staaten, deren ökonomisches Gewicht und wachsende Bevölkerung in der Zukunft auch dafür sprechen, dass wir jetzt die Grundlage dafür legen, dass es eine gute Zusammenarbeit gibt. Das ist gelungen, und zwar in Konsequenz all der vielen Gespräche, die in den letzten zwei Jahren stattgefunden haben. Diese Kooperation hat es möglich gemacht, dass Entscheidungen getroffen worden sind, bei denen Russland akzeptieren musste, dass die Weltgemeinschaft die gewalttätigen Prinzipien russischer Politik nicht richtig findet, sondern sich auch mit den Worten, die hier gefunden worden sind, dagegenstellt.

BM Lindner: Meine Damen und Herren, ich darf die Ausführungen des Bundeskanzlers mit Blick auf die Fragen, die im Finance Track schwerpunktmäßig bearbeitet wurden, kurz ergänzen. Wir haben in den vergangenen Jahren große Fortschritte bei der Sicherung der Finanzstabilität im Bankenbereich erzielt. Deshalb sprechen wir auch nicht von systemischen Bankenkrisen, sondern von Einzelereignissen bestimmter Institute. Aber eine noch nicht abgeschlossene Aufgabe ist, Transparenz und Stabilität im Nichtbankenbereich herzustellen. Wenn man sich die Finanzvolumina ansieht, um die es dabei geht, dann erkennt man, dass das ein großer Bereich ist. Potenzielle Destabilisierung wäre eher von dort zu erwarten als aus dem Bankbereich. Deshalb haben wir miteinander beraten, wie und mit welchen Schritten wir Fortschritte erzielen können, um Transparenz hinsichtlich bestehender Risiken herzustellen und Instrumente im Nichtbankenbereich zu finden, um mit diesen Risiken verantwortbar umzugehen.

Wir haben ferner miteinander über digitales Zentralbankgeld beraten, also die digitalen Währungen. Das ist ebenfalls eine beachtliche Aufgabe, vor der wir stehen, Zugang zu Finanzdienstleistungen einerseits zu ermöglichen, andererseits aber neue Risiken für die Finanzstabilität, die sich daraus ergeben könnten, zu verhindern.

Unter der Überschrift „one future“ haben wir uns in der letzten Session am heutigen Vormittag unter anderem mit der künstlichen Intelligenz befasst. Künstliche Intelligenz ist eine faszinierende Innovation, die auch einen Hebel für zusätzliche Produktivität darstellen kann. Potentiell verbunden sind damit allerdings auch Gefahren nicht nur für die Arbeitsmärkte, sondern auch darüber hinaus für einen ethisch nicht verantwortbaren Umgang mit diesen neuen Instrumenten. Deshalb hat die G20 verabredet, dass wir uns in der allernächsten Zeit mit der ethischen Fundierung einer möglichen Einfassung künstlicher Intelligenz in gemeinsame Regeln beschäftigen wollen. Das ist ein Prozess, der jetzt beginnt, auch auf der Ebene von Expertinnen und Experten, und im nächsten Jahr vertieft werden soll.

Frage: Herr Bundeskanzler, der nächste G20-Gipfel findet in Brasilien statt. Der brasilianische Präsident Lula hat heute schon gesagt, dass Putin nicht mit einer Verhaftung rechnen müsste, wenn er nach Brasilien kommen wollte. Er hat ihn quasi dazu eingeladen, wieder an diesem Gipfel teilzunehmen. Können Sie sich vorstellen, sich mit Putin wieder an einen Tisch zu setzen? Würden Sie sich vielleicht sogar wünschen, dass er an diesen Gipfeln wieder teilnimmt, um direkt mit ihm reden zu können?

BK Scholz: Das hier war ein sehr wichtiges Treffen, wie ich eben schon gesagt habe. Das hat natürlich sehr viel damit zu tun, dass es hier gelungen ist, viele Länder gemeinsam an einer Entschließung arbeiten zu lassen, der sich Russland dann nicht hat entziehen können. Deshalb ist es jetzt Spekulation, ob es so sein wird, dass er überhaupt kommt oder nicht. Damit will ich mich auch nicht befassen.

Aber es ist ja doch das eigentliche Ereignis, dass hier Indien, Indonesien, Brasilien, Südafrika, Argentinien und viele, viele andere Länder mitgeholfen haben, dass wir zu Ergebnissen kommen, die eben doch eine Klarheit hergestellt haben, an der dem einen oder anderen ganz sicher nicht gelegen war, insbesondere der russischen Regierung nicht. Und das ist eigentlich das wichtige Ereignis.

Ich will hier gerne noch einmal sagen: Das ist jetzt schon eine sehr beeindruckende Reihe von G20-Gipfeln, die ausgerichtet wurde, zuletzt von Indonesien und jetzt von Indien. Die Inder können für sich eine erfolgreiche Präsidentschaft verbuchen. Dann kommen Brasilien und Südafrika. Das sind doch viele Länder, mit denen wir in der Zukunft gerne gute Beziehungen und eine gute Zusammenarbeit haben wollen. Wenn uns das immer mehr gelingt, wird auch eine solche Frage an relativer Bedeutung verlieren.

Frage: Herr Bundeskanzler, es gab in den Verhandlungen lange eine Achtzehn-plus-zwei-Situation. Jetzt gab es doch eine gemeinsame Erklärung. Es gibt jetzt die große Infrastruktur-Initiative, an der China nicht beteiligt ist. Auch in Bezug auf die Reform von Weltbank und IWF haben die USA ganz offen betont, dass das auch darauf abzielt, den Einfluss Chinas zu schwächen. Sehen Sie den Westen nach diesem Gipfel gegenüber dem systemischen Rivalen China gestärkt?

BK Scholz: Ich weiß nicht, ob das eine Fragestellung ist, der wir nachgehen sollten. Denn tatsächlich geht es doch darum, an einer multipolaren Welt zu arbeiten, in der es eben nicht so ist, dass Macht darüber entscheidet, wie sich die Beziehungen in der Welt entwickeln, sondern die Regeln, die wir einander gegeben haben, mit denen wir sicherstellen, dass Staaten nicht revisionistisch sind und versuchen, ihre Nachbarn zu unterdrücken oder zu erobern, und in der auch bestimmte Regeln des Miteinanders in den Ländern, die wir als Basisrechte verstehen müssen, akzeptiert werden. Da ist dieser Gipfel ganz zentral gewesen, weil er eben diese Form von weltweiter Kooperation hat sichtbar werden lassen. Das ist auch das, was wir eigentlich anstreben müssen. Dass wir, gerade auch, damit es in der Welt gut funktioniert, jetzt unseren deutschen Beitrag leisten, die Amerikaner ihren Beitrag dazu leisten, die Weltbank zu stärken, damit sie bei der Finanzierung helfen kann, die viele Staaten benötigen, ist natürlich ein gutes Zeichen. Aber das würde ich nicht unter dieser Fragestellung beantworten.