Pressekonferenz von Bundeskanzler Scholz am 25. Februar 2023 in Neu Delhi

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BK Scholz: Indien ist ein Land mit einer lang zurückreichenden Tradition. Wir können das hier hinter uns sehen, aber auch überall im Land wird deutlich: Das ist ein Land mit vielen unterschiedlichen Wirkungsgruppen, mit großen kulturellen Errungenschaften, und ein Land, das jetzt im Aufbruch ist, nicht nur als ein Land, das schon seit vielen Jahren große Aussichten hat, sondern als eines, das real einen Sprung in der ökonomischen Entwicklung macht.

Das gilt auch für viele Themen der ökonomischen Entwicklung, die für uns selbst von Bedeutung sind. Etwa die Frage des Klimawandels wird hier genauso ernst genommen wie bei uns. Deshalb gibt es ein großes Interesse, zusammenzuarbeiten, wenn es um erneuerbare Energien, um Windkraft, um Solarenergie und um Biomasse geht, um die digitalen Technologien, die für das Stromnetz erforderlich sind, aber auch, wenn es darum geht, etwa eine Elektrifizierung des Schienentransports zu organisieren.

Natürlich ist Indien gleichzeitig ein Land, das über eine hohe Kompetenz im Bereich der IT, der Softwareentwicklung, verfügt, mit unglaublich vielen Frauen und Männern, die hier Fähigkeiten besitzen, die wichtig für deutsche Unternehmen sind, die hier investieren, aber auch für Deutschland selbst. Deshalb ist es sehr gut, dass das Migrationsabkommen, das wir mit Indien abgeschlossen haben, gewissermaßen der Vorläufer für vieles andere ist, das wir auch an anderen Stellen vereinbaren wollen, mit klaren Aussagen über die Frage, wer kommen kann, und klaren Regeln über die Rückkehr derjenigen, die nicht bleiben können. Man sieht: Hier gibt es ein großes, großes Interesse sehr qualifizierter, sehr talentierter junger Frauen und Männer, in Deutschland zu arbeiten, woran wir ein unmittelbares Interesse haben.

Wir haben uns auch über die schwierige Situation der Welt unterhalten; denn der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine hat Konsequenzen, die nicht nur in Europa und in Deutschland zu spüren sind, nicht nur unmittelbar in der Ukraine zu spüren sind, wo furchtbare Schäden und unglaublich viele menschliche Verluste die Folge des brutalen russischen Krieges sind, sondern dieser russische Angriffskrieg hat auch Konsequenzen in Asien, in Afrika und im Süden Amerikas. Darüber, dass das so ist, besteht hier große Klarheit. Deshalb ist es wichtig, dass wir mit Indien zusammenarbeiten, anknüpfend an die Verständigung, die wir im letzten Jahr auch im Rahmen der G20 gefunden haben. Das ist mir wichtig: Die G20 war im letzten Jahr mit der indonesischen Präsidentschaft auch erfolgreich, weil neben Indonesien Indien und andere Länder des globalen Südens mitgeholfen haben, starke, klare Aussagen zu finden, zum Beispiel zu dem Krieg, aber auch dazu, dass Atomwaffen in dem Krieg nicht eingesetzt werden dürfen. Daran wird es anzuknüpfen gelten, wenn jetzt in diesem Jahr Entscheidungen vorbereitet werden. Deshalb ist es für mich ganz, ganz wichtig, dass wir heute auch über diese Situation gesprochen haben.

Wir haben viele andere Felder, in denen wir eng miteinander zusammenarbeiten wollen, selbstverständlich auch in Sicherheitsfragen. Deshalb haben wir uns auch über die konkrete Situation dieses Landes unterhalten, was ich wirklich wichtig finde. Es hat jetzt schon gute, intensive Gespräche im Rahmen dieses Staatsbesuchs gegeben, ein Delegationsgespräch, das alle Themen verhandelt hat, die uns wichtig sind, aber auch ein persönliches Gespräch, das der Premierminister und ich führen konnten. Ich glaube, das ist ein Ausdruck der sehr guten und freundschaftlichen Beziehungen, die zwischen Deutschland und Indien existieren, aber vor allem der sehr guten Beziehungen, die für uns beide möglich sind und an denen beide Länder ein eminentes Interesse haben.

Frage: Herr Bundeskanzler, haben Sie mit dem indischen Premierminister über das Abstimmungsverhalten Indiens in der UN-Generalversammlung zum Ukrainekrieg gesprochen? Beurteilen Sie die indische Enthaltung anders als die chinesische Enthaltung? Welche Möglichkeiten sehen Sie, auf Indien in dieser Frage Einfluss zu nehmen?

BK Scholz: Wir haben über die ganze Situation gesprochen und auch sehr vertraulich unsere Einschätzungen über die konkrete Lage ausgetauscht, die der russische Angriff auf die Ukraine in der Ukraine geschaffen hat. Ich glaube, dass man schon klar sagen kann, dass sich hier niemand Illusionen über die Frage macht, auch nicht die Regierung, dass das ein Angriffskrieg ist, den Russland gestartet hat, um einen Teil des Territoriums seines Nachbarlandes zu erobern. Das ist etwas, das den Frieden und die Sicherheit nicht nur in Europa bedroht, sondern weltweit. Wir haben die Verständigung - das gehört zur UN-Charta -, dass mit Gewalt keine Grenzen verschoben werden dürfen, dass die Politik der Staaten untereinander nicht revisionistisch ist, und genau das ist es ja, was Russland macht.

Ich finde, es ist wichtig, dass erneut so viele Länder in der UN-Generalversammlung sehr klar den russischen Angriffskrieg verurteilt haben. Aber wir müssen und dürfen wissen, und unserer Politik muss das auch zugrunde gelegt werden, dass auch unter den Ländern, die nicht mitgestimmt haben, die allermeisten das als einen Angriffskrieg bewerten und betrachten.

Frage: Es gibt hier in Indien den Satz, der oft gesagt wird: Man muss es sich ja auch leisten können, auf diese Energie aus Russland verzichten zu können, und wir in Indien können uns das einfach nicht leisten. Wir müssen da opportunistisch sein. Wir müssen günstige Energie aus Russland einkaufen können. - Inwieweit haben Sie darüber gesprochen? Inwieweit können Sie diese Sichtweise verstehen und gegebenenfalls auch Alternativen aufzeigen, wie man aus dem Dilemma aus indischer Sicht herauskommen könnte?

BK Scholz: Zunächst einmal sind gute wirtschaftliche Beziehungen zwischen Deutschland und Indien, zwischen Europa und Indien und auch von vielen anderen mit diesem aufstrebenden, großen, großen Land natürlich auch die Grundlage dafür, dass das Land nicht von anderen abhängig ist. Insofern nutzt das, woran wir ein Interesse haben, auch unmittelbar der indischen Entwicklung und der eigenen Stärke und Souveränität. Ich will es ausdrücklich sagen: Wir haben ja doch viele gehört, die richtigerweise dazu aufgefordert haben, dass Länder wie Deutschland, aber auch viele andere dafür sorgen, dass ihre Lieferketten nicht einseitig sind, sondern dass man sie diversifiziert, dass man die Exportmärkte diversifiziert und dass man an vielen Stellen der Welt investiert. Indien ist jetzt die Volkswirtschaft mit der größten Bevölkerung, aber auch mit großen Wachstumsperspektiven, und ein Land, das in Rankings der internationalen Wirtschaftskraft, die gemacht werden, sehr weit nach vorne gerückt ist und sicherlich auch noch weiter wachsen wird. Da können wir einen Beitrag leisten. Wir reden hier über den Ausbau der erneuerbaren Energien, und dass hier auch ehrgeizige Programme dazu existieren, ist dann ja nicht nur wichtig für unsere eigene Wirtschaft, die große technologische Kompetenzen in diesem Bereich besitzt, sondern ist auch etwas, was die Unabhängigkeit Indiens fördern kann.

Ansonsten ist es richtig, dass wir, wenn wir über Probleme reden, uns nicht darauf beschränken, die Probleme, die wir haben, für die der Welt zu halten und nicht zu akzeptieren, dass die Welt auch noch Probleme hat, für die wir uns interessieren müssen. Die Frage, wie die Länder in Asien und Afrika und im Süden Amerikas ihre Energiesicherheit gewährleisten können, wie sie an die teurer werdenden Ressourcen herankommen, ist eine Frage, die uns gemeinsam bewegen muss. Deshalb ist es richtig, dass die deutsche Politik mit dem Blick auf den globalen Süden, auf Asien, Afrika und den Süden Amerikas jetzt einen so neuen und so klaren Schwerpunkt setzt, damit wir auf Augenhöhe über die Zukunft unseres gemeinsamen Planeten sprechen können und damit wir die Möglichkeiten, die in einer fairen Partnerschaft liegen, auch tatsächlich nutzen.

Frage: Herr Bundeskanzler, Sie haben heute in dem Pressestatement gesagt, Sie wollten sich bei dem Freihandelsabkommen künftig auch persönlich einbringen, damit es schnell Fortschritte gibt. Meine Frage wäre: Wie wollen Sie das genau machen?

Die zweite Frage wäre: War das Thema der U-Boote und eines möglichen Deals mit thyssen.krupp heute auch ein Thema?

BK Scholz: Zur zweiten Frage: Wir haben natürlich über unsere Sicherheitszusammenarbeit gesprochen und uns auch vorgenommen, das in ganz konkreten Arbeitsbeziehungen zu vertiefen und weiter dran zu bleiben. Selbstverständlich haben wir auch konkrete Vorhaben beredet. Das sind Dinge, die hier zunächst einmal zwischen den Unternehmen und den Bestellern ausgehandelt werden müssen, aber natürlich müssen sie begleitet werden. Ich habe den Eindruck, dass die Qualität der deutschen Technik hier in jeder Hinsicht eine große Anerkennung und Wertschätzung genießt. Das gilt nicht nur für Lokomotiven, die elektrifiziert sind, sondern das gilt auch für andere Technik, nämlich die von Ihnen genannte.

Was im Übrigen das Freihandelsabkommen betrifft: Ich bin dafür, dass wir jetzt mehr Druck entwickeln, dass wir einen großen Willen entwickeln, dass die lange Zeit, in der jetzt über dieses verhandelt wird, einmal mit Ergebnissen beendet wird und wir uns nicht immer von Jahr zu Jahr weiterhangeln. Da hat es in den letzten Jahren doch Phasen gegeben, in denen nicht wirklich viel passiert ist. Mein Eindruck ist, das ändert sich gerade. Ich jedenfalls habe mir fest vorgenommen und bin zusammen mit der ganzen Regierung auch längst dabei, dass wir mit der Kommission im direkten Gespräch daran sind und hinterher sind, dass das jetzt nicht noch einmal so lange wie bisher dauert. Das ist kein guter Eindruck, den wir machen. Natürlich gibt es viele Fragen und Probleme, und die Interessen sind nicht alle gleich auf den ersten Blick übereinander zu bringen. Aber wenn der Wille da ist, dann muss auch ein Weg da sein. Darum geht es jetzt.

Zusatzfrage: Die Probleme liegen also momentan in dieser Hinsicht bei der Kommission?

BK Scholz: Die Probleme gibt es auf allen Seiten, weil es ja Interessen gibt. Aber das ist ja kein Grund, sich nicht zu einigen, sondern es geht darum, die unterschiedlichen Ausgangspunkte zu einem gemeinsamen Ergebnis zu führen. Ich glaube, in Bezug darauf, dass das gewollt wird, muss jetzt ein großer Elan entstehen. Ich habe den Eindruck, dass das auch zunehmend an vielen Stellen so gesehen wird. Aber es ist und bleibt auch eine Führungsaufgabe, zu sagen: Ich will jetzt, dass da Vereinbarungen zustande kommen und dass das nicht weiter vor sich hin plätschert, wie es ja doch jahrelang der Fall war.

Frage: Herr Bundeskanzler, haben Sie mit dem indischen Premierminister auch über das chinesische Positionspapier zum Ukrainekrieg gesprochen? Welche Haltung nehmen Sie dazu ein, und welche Haltung hat Premierminister Modi in dem Gespräch dazu eingenommen?

BK Scholz: Wir haben die gesamte Problematik sehr ausführlich und sehr intensiv besprochen, auch zu zweit. Sie verstehen sicher, dass ich jetzt nicht über die Details eines absichtlich sehr vertraulichen und in sehr engem Rahmen gehaltenen Gesprächs berichten möchte. Aber ich kann Ihnen gerne sagen, dass ich glaube, dass das ein Vorstoß ist, der ganz erkennbar Licht und Schatten hat. Es gibt Dinge, die bemerkenswert richtig sind, zum Beispiel die erneute Verurteilung des Einsatzes von Atomwaffen. Es fehlt aus meiner Perspektive eine erkennbare Linie, die sagt: Es muss auch zu einem Rückzug russischer Truppen kommen. – So kann man das hin und her betrachten. Wichtig ist, dass das jetzt da ist, klar. Aber wichtig ist auch, dass wir dafür sorgen, dass es uns bei allem, was geschieht, gelingt, dass es um einen fairen, gerechten Frieden geht, keinen Diktatfrieden russischer Machart. Das muss der russische Präsident auch einsehen.

Frage: Bitte noch einmal ganz kurz zurück zu den Rüstungsgeschäften: Indien ist in dem Bereich extrem und in hohem Maße von Russland abhängig. Wäre Deutschland, wäre Europa bereit, in dem Bereich einzuspringen und mehr zu bieten?

BK Scholz: Ich habe schon gesagt, dass wir uns sogar fest vorgenommen haben, die Frage, was Sinn ergibt und welche Möglichkeiten existieren, genau miteinander zu besprechen, und natürlich gehört es auch zu den fortlaufenden Betrachtungen über die Frage von Rüstungsexporten, die wir in Deutschland weiterentwickeln, dass wir in dieser Frage handlungsfähig sind. Das wollen wir auch sein.