Abschlusspressekonferenz von Kanzler Scholz nach dem Europäischen Rat
Langfristige Unterstützung für die Ukraine, Solidarität mit Israel und die zügige Umsetzung der Asylreform – zum Abschluss des Europäischen Rates fasst Bundeskanzler Scholz die Ergebnisse der Beratungen zusammen.
- Mitschrift Pressekonferenz
- Freitag, 18. Oktober 2024
Bundeskanzler Olaf Scholz hat die konstruktiven Beratungen und die sehr guten Ergebnisse des Europäischen Rates gelobt. Es sei ein kurzer Gipfel mit viel Substanz gewesen. Die Staats- und Regierungschefinnen und -chefs der EU-Länder sind am 17. Oktober in Brüssel zusammengekommen, um über die weitere Unterstützung der Ukraine, die Situation im Nahen Osten, das Thema Asyl und Migration sowie die Wettbewerbsfähigkeit der EU zu beraten.
Das Wichtigste in Kürze:
- Zur Ukraine: Die Staats- und Regierungschefinnen und -chefs versicherten ihre ungebrochene Solidarität mit der Ukraine. Das zeige auch die Einigung, dass die EU ihren Anteil zum 50-Milliarden-Dollar-Kredit für die Verteidigung der Ukraine leisten werde. Russlands Präsident Putin solle nicht auf eine nachlassende Unterstützung spekulieren. Zugleich forderte Bundeskanzler Scholz eine weitere Friedenskonferenz, und zwar unter Beteiligung Russlands.
- Zum Nahen Osten: Scholz bekräftigte erneut: Israel hat jedes Recht, sich gegen den fürchterlichen Angriff der Hamas zu verteidigen. Die EU-Spitzen waren sich darüber einig, dass eine weitere regionale Eskalation vermieden werden müsse – sowohl im Gazastreifen als auch im Libanon. Der Europäische Rat rief abermals zu einem Waffenstillstand auf, der die bedingungslose und unverzügliche Freilassung aller Geiseln durch die Hamas zur Folge hat. Zugleich müsse sich die humanitäre Situation im Gazastreifen dramatisch verbessern.
- Zu Asyl und Migration: Bundeskanzler Scholz bekräftigte, dass die irreguläre Migration weiter zurückgehen müsse und sieht hier einen starken Konsens zwischen den Mitgliedsstaaten. „Für mich ist es wichtig, dass die GEAS-Reform nun zügig umgesetzt wird“, sagte Scholz. Die Bundesregierung habe die entsprechenden Gesetzentwürfe in Vorbereitung.
Gleichzeitig müsse die EU für Zuwanderung der nötigen Arbeitskräfte und Fachkräfte offenbleiben. Für Bundeskanzler Scholz ist Teil der gemeinsamen Solidarität auch, dass „alle Regeln ordentlich angewandt werden. Das gilt insbesondere für Überstellungen nach dem Dublin-System, etwas, was zum gemeinsamen europäischen Asylpaket dazugehört und für uns in Deutschland sehr wichtig ist“. - Zur Wettbewerbsfähigkeit: Neben der Sicherstellung von genügend Arbeitskräften bedürfe die europäische Volkswirtschaft auch einer grundlegenden Reform. Bundeskanzler Scholz lobte hier die dazu in den vergangenen Monaten vorgelegten Berichte von Mario Draghi und Enrico Letta als substantiell. Die EU-Staaten werden auf dem kommenden informellen Gipfel im November in Budapest entsprechende Ansätze vertieft diskutieren. Für Bundeskanzler Scholz ist allerdings klar, dass die Wettbewerbsfähigkeit Europas weiterentwickelt werden müsse.
Lesen Sie hier die Schlussfolgerungen des Europäischen Rates vom 17. Oktober 2024 und das Statement des Bundeskanzlers vor dem Beginn der Beratungen.
Lesen Sie hier die Mitschrift der Pressekonferenz
Bundeskanzler Scholz: Schönen guten Abend auch von meiner Seite! Heute ist ein eintägiger Europäischer Rat gelungen. Ich finde, daran könnte man sich gewöhnen. Vor allem aber hat es auch sehr, sehr gute Ergebnisse und gute Beratung gegeben. Insofern war mit der Kürze gleichzeitig auch sehr viel Substanz verbunden.
Als Erstes war Staatspräsident Selenskyj da, der uns über die Lage in der Ukraine unterrichtet und uns dargestellt hat, wie er die Situation sieht. Sie wissen, dass ich selbst in der letzten Zeit mit ihm sehr oft, auch sehr persönlich, lange Zeit gesprochen habe. Trotzdem war das jetzt etwas ganz Besonderes, weil Präsident Selenskyj bislang sehr oft und in den meisten Fällen unserem Europäischen Rat aus der Ukraine zugeschaltet war. Jetzt war er persönlich da. Das war auch sehr gut für unsere Diskussion.
Wir alle zusammen haben noch einmal versichert, dass unsere Solidarität mit der Ukraine ungebrochen ist, dass sie solange anhalten wird, wie es notwendig ist, und dass wir jeweils auch als Staaten die Ukraine bei ihrem Verteidigungskampf gegen Russland unterstützen werden, militärisch. Deutschland hat, wie Sie wissen, gerade ein neues Unterstützungspaket an die Ukraine ausgeliefert. Weitere sind bis zum Jahresende geplant. Trotzdem war mir wichtig, in unserer Debatte auch noch einmal alle anderen dazu aufzurufen, zu prüfen, was sie konkret tun können, um ihre Unterstützung noch auszuweiten. Denn das ist genau jetzt wichtig und notwendig, wenn wir über die Verteidigungsfähigkeit der Ukraine nachdenken und ihr helfen wollen.
Es wird jetzt den dritten Kriegswinter geben. Deshalb gibt es neben der militärischen Hilfe auch sehr viel Unterstützungsnotwendigkeit, was die Energieinfrastruktur betrifft, die von den russischen Angriffen immer wieder zerstört wird. Wir als Deutschland haben dafür sehr viele zusätzliche Mittel mobilisiert, wie Sie wissen. Auch viele andere tun das, und das ist ganz besonders wichtig.
Langfristig ist es zentral, dass sich die Ukraine darauf verlassen kann, dass wir sie unterstützen und ihr die notwendigen Mittel zur Verfügung stellen. Das passiert mit dem von den wirtschaftsstarken Demokratien, den G7-Staaten, verabredeten 50-Milliarden-Dollar-Kredit, den wir dort auf den Weg gebracht haben. Europa wird seinen Teil jetzt leisten können. Das ist in die Gesetzgebungsmaschinerie eingebracht worden und wird auch ganz schnell entschieden sein, sodass die Ukraine das deutliche Signal bekommt: Diese Mittel stehen zur Verfügung. Gleichzeitig ist das ein Signal an den russischen Präsidenten, dass er nicht darauf spekulieren soll, dass unsere Unterstützung nachlassen wird. Auch das ist wichtig für die Verteidigungsfähigkeit der Ukraine, weil es natürlich zentral ist, dass unsere Botschaft eindeutig ist, dass wir in der Lage und gewillt sind, die Ukraine lange zu unterstützen.
Gleichzeitig muss es jetzt natürlich darum gehen, dass wir auch alle Möglichkeiten für einen gerechten und dauerhaften Frieden für die Ukraine ausloten. Sie wissen, dass es keinen Diktatfrieden geben darf. Deshalb war es sehr wichtig, dass wir alle zusammengekommen sind, zuletzt bei der großen Friedenskonferenz auf dem Bürgenstock in der Schweiz. Es muss jetzt eine weitere Friedenskonferenz geben, und zwar, wie Präsident Selenskyj schon dort gesagt hat, unter Beteiligung von Russland. Das ist das, was jetzt an diplomatischen Bemühungen überall und allseits stattfindet.
Gleichzeitig haben wir uns mit der Lage im Nahen Osten beschäftigt. Ich habe für mich noch einmal deutlich gemacht: Die Hamas hat Israel vor einem guten Jahr auf fürchterliche Weise angegriffen. Israel hat jedes Recht, sich gegen diesen Angriff zu verteidigen. Wir haben den erneuten Angriff des Irans auf Israel auf das Schärfste verurteilt und sind uns alle hier in Brüssel einig, dass eine weitere regionale Eskalation vermieden werden muss. Das gilt sowohl für die Situation im Gazastreifen als auch mit dem Blick auf den Libanon. Wir haben abermals zu einem Waffenstillstand aufgerufen, der die bedingungslose und unverzügliche Freilassung aller Geiseln durch die Hamas zur Folge hat, und uns natürlich auch mit der humanitären Situation im Gazastreifen beschäftigt, die sich dramatisch verbessern muss.
Einigkeit besteht unter allen hier, dass eine langfristige Perspektive für Frieden nur dann möglich ist, wenn es eine Zweistaatenlösung geben wird, die natürlich verhandelt werden muss. Aber es muss Hoffnung geben auf ein friedliches Nebeneinander eines israelischen Staates und eines palästinensischen Staates in Westbank und Gaza. Darüber besteht Einigkeit. Ich finde es sehr wichtig, dass es uns gelungen ist, hier gemeinsame Formulierungen zu finden. Ich will gar nicht verhehlen, dass ich auch sehr froh darüber bin, dass sich die Position, die Deutschland in dieser Frage hat, in den Beschlüssen wiederfindet, sodass wir die Punkte, die ich hier beschrieben habe – klare Aussage in Bezug auf das Recht Israels, sich zu verteidigen, und alle anderen Fragen –, darin wiederfinden. Ich bin deshalb mit diesem Ergebnis sehr zufrieden. Es ist wichtig, dass europäische Staaten gemeinsame Worte finden können und ihre Aktivitäten auf solche Weise koordinieren.
Das dritte Thema, das uns miteinander beschäftigt hat und über das wir länger diskutiert haben, war die Frage von Asyl und Migration. Ich will vorweg sagen: Auch diese Diskussion war sehr konstruktiv. Ich habe an mehreren solchen Debatten auch in Europa teilgenommen, und ich weiß, wie diese Debatten, auch bevor ich dabei war, oft verlaufen sind: sehr aufgeregt, sehr, sehr lang. Das war diesmal ganz anders. Ich habe eine doch sehr konstruktive Atmosphäre wahrgenommen.
Deshalb ist es uns gelungen, entlang des gut vorbereiteten Textes, der in der Diskussion im Vorfeld dieses Zusammentreffens zustande gekommen war, eine Beschlussfassung zustande zu bringen, die auch die Dinge beinhaltet, die mir und die Deutschland wichtig sind. Klar ist, dass die irreguläre Migration zurückgehen muss. Sie wissen, dass wir in Deutschland Maßnahmen ergriffen haben, indem wir unsere eigenen Verfahren verbessert und beschleunigt haben und indem wir Grenzkontrollen eingeführt haben, die dazu führen, dass die Zahl derjenigen, die irregulär nach Deutschland kommen, erheblich zurückgegangen ist. Wir werden diesen Weg weitergehen.
Gleichzeitig gehört zu dem, was wir hier besprechen und miteinander zustande bringen müssen, auch, dass die Europäische Union für die Zuwanderung der nötigen Arbeitskräfte und Fachkräfte offen bleibt, damit unsere Volkswirtschaft trotz der demografischen Herausforderungen, vor denen wir stehen, wachsen kann. Die jetzt immer wieder diskutierten Wachstumspotenziale, die Produktionspotenziale, sind ohne eine ausreichend große Erwerbsbevölkerung gar nicht zu schaffen. Es gibt keine Volkswirtschaft der Welt mit einer schrumpfenden Erwerbsbevölkerung, die langfristig wächst. Deshalb ist es so wichtig, dass wir diesen Teil nicht vergessen.
Genauso wenig dürfen wir vergessen, dass es unsere gemeinsame Verantwortung ist, denen Schutz zu gewähren, die Schutz brauchen. Aber gleichzeitig gilt, dass nicht einfach jeder und jede kommen kann und dass wir uns auch aussuchen können müssen, wer kommt, in Bezug auf Arbeitskräfte- und Fachkräftemigration zum Beispiel von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, aber eben auch von denjenigen, denen wir Schutz gewähren wollen, weil sie zum Beispiel Asyl brauchen, damit sie sicher leben können.
Dafür sind ein paar Schritte gegangen worden, die hier noch einmal adressiert worden sind. Auch das war mir wichtig. Dazu zählt das Reformpaket zur gemeinsamen Asylpolitik, GEAS. Das ist ein großer Fortschritt. um den viele Jahre verhandelt wurde. Da muss jetzt auch mehr passieren. Für mich ist es wichtig, dass diese GEAS-Reform nun zügig umgesetzt wird. In Deutschland werden wir – die Gesetze sind unmittelbar in Vorbereitung – das, was dazu bei uns gesetzgeberisch zu tun ist, unmittelbar in die Gesetzgebung in Deutschland einbringen, und wir hoffen, dass wir die Dinge noch dieses Jahr sehr weit vorantreiben können, sodass wir auf diese Reform gut vorbereitet sind und rechtzeitig alle Dinge bei uns schon gesetzgeberisch geregelt haben, aber auch viele Maßnahmen, die man schon früher ergreifen kann, in Deutschland auf diese Weise schon ergriffen haben werden.
Natürlich müssen alle Regeln ordentlich angewandt werden. Das gilt insbesondere für Überstellungen nach dem Dublin-System, etwas, was zum gemeinsamen europäischen Asylpaket dazugehört und für uns in Deutschland sehr wichtig ist. Sie wissen, dass diese Debatte in Europa immer wieder geführt wird. Sie ist für uns wichtig. Wir brauchen im Übrigen auch eine Überarbeitung der Rückführungsrichtlinie. Die Präsidentin hat in ihrem Brief genau darauf Bezug genommen und vorgestellt, dass sie das jetzt mit großer Zügigkeit vorantreiben will.
Wir sind uns darin einig, dass das alles ein Gesamtansatz ist, der vorangebracht werden muss. Gleichzeitig sind wir uns auch darin einig, dass alles, was wir tun, immer im Rahmen des europäischen Rechts und des internationalen Rechts zu erfolgen hat. Es war ganz zentral, das in den Dokumenten noch einmal festzuhalten, sodass das aus meiner Sicht sehr erfreulich war und ist, weil wir, darauf aufbauend, auch in der Zukunft gemeinsam arbeiten können.
Zuletzt haben wir auch über die Wettbewerbsfähigkeit der Europäischen Union diskutiert. Das wird auch bei dem kommenden informellen Gipfel noch einmal eine ganz wichtige Sache sein. Mario Draghi hat zuletzt einen sehr substanziellen Bericht vorgelegt, davor Enrico Letta. Man muss nicht alles darin teilen, aber insbesondere da, wo es um Innovationen geht, wo es darum geht, die Modernisierung der europäischen Volkswirtschaften voranzutreiben und die Wettbewerbsfähigkeit Europas weiterzuentwickeln, sodass wir vorn dabei sind, wenn es in der künftigen Welt von um die Mitte des Jahrhunderts zehn Milliarden Menschen darum geht, unseren Anteil an der weltweiten Wertschöpfung zu sichern, muss das diskutiert werden. Dabei werden wir gut vorankommen.
Ich denke also, es war ein nicht nur wegen seines frühen Endes, sondern auch wegen seiner Substanz erfreulicher Gipfel.
Schönen Dank.
Frage: Herr Bundeskanzler, eine Frage zum Thema Migration: In den Schlussfolgerungen, die ja noch einmal verändert worden sind, findet sich jetzt in Bezug auf die Situation an der Grenze zu Russland und Belarus der Satz „exceptional situations require appropriate measures“. Was bedeutet das aus Ihrer Sicht in Bezug auf die Diskussion, die in Finnland und auch in Polen geführt wird? Ganz konkret gefragt: Sind Pushbacks erlaubt, wenn Migranten als Waffe eingesetzt werden?
Bundeskanzler Olaf Scholz: Die Antwort auf Ihre Frage findet sich fast schon im nächsten Satz: Alles muss im Rahmen des internationalen und europäischen Rechts geschehen. Das ist selbstverständlich richtig. Gleichzeitig kann man aber nicht darüber hinwegsehen, dass an diesen Grenzen schlimme Dinge passieren und deshalb auch außerordentliche Anstrengungen nötig sind – von den Staaten aber auch gemeinsam und solidarisch –, um sicherzustellen, dass dort nicht Migration missbraucht wird. Darüber bestand die ganze Zeit große Einigkeit. Ich glaube, so eingefasst in die rechtlichen Regime, die wir haben, ist das auch vernünftig.
Frage: Herr Bundeskanzler, in den heutigen Gipfel – möglicherweise sogar während Ihrer Debatte um den Nahen Osten – ist ja die Nachricht von der Tötung des Hamas-Führers Sinwar sozusagen hineingeplatzt. Gab es darauf irgendwelche Reaktionen im Raum? Wie sehen Sie selbst diese Tötung? Ist das für Sie ein Beleg für die Sinnhaftigkeit des israelischen Vorgehens im Gazastreifen? Denn das ist ja doch eine Erfolgsmeldung für das israelische Militär, und trotzdem hat es auch viel Kritik daran gegeben.
Wenn Sie erlauben, noch eine zweite Frage: Am morgigen empfangen Sie ja den US-Präsidenten. Ist das für Sie eigentlich mehr als ein rein nostalgischer Besuch? Besprechen Sie da auch noch etwas Substantielles, möglicherweise auch mit Blick auf das 50-Milliarden-Dollar-Paket, das aufgrund der Blockade Orbáns von amerikanischer Seite immer noch nicht vollständig gefüllt ist?
Bundeskanzler Scholz: Zunächst einmal muss ich Ihnen sagen, dass es nicht zur Sprache gekommen ist, obwohl alle diese Meldung natürlich gesehen und zur Kenntnis genommen haben. Mit Einzelnen habe ich mich auch ganz kurz dazu ausgetauscht. Es wäre aber auch sehr unangemessen, das, was sich dort im Nahen Osten jetzt militärisch zugetragen hat, zum Debattenpunkt im Europäischen Rat zu machen.
Ich komme noch einmal auf das zurück, was ich eingangs und auch bei vielen anderen Gelegenheiten gesagt habe: Das war ein furchtbarer, brutaler, menschenverachtender Angriff der Hamas auf israelische Bürgerinnen und Bürger, die getötet, vergewaltigt und auf schlimmste Weise menschlich erniedrigt worden sind, und das wurde alles auch fotografiert. Der Verantwortliche dafür war derjenige, über den uns alle jetzt diese Meldungen erreicht haben. Er war auch gewissermaßen militärisch verantwortlich für die Aktivitäten der Hamas. Deshalb ist das etwas, was man mit in den Blick nehmen muss. Hier hat jemand, der schlimmste Verbrechen begangen hat, jetzt offenbar das Leben verloren.
Ich wiederhole auch: Israel hat das Recht, sich gegen die Angriffe der Hamas und gegen die Hamas zu verteidigen. Es ist übrigens gut, dass wir das auch hier beim europäischen Gipfel noch einmal als gemeinsame Position festgehalten haben.
Zu Ihrer zweiten Frage: Das Treffen mit Präsident Biden ist für mich sehr wichtig – natürlich auch, weil wir uns gut verstehen und weil er einen großen Beitrag zur Verbesserung der transatlantischen Beziehungen geleistet hat, die nun schon viele Jahrzehnte bestehen und – da bin ich mir sicher – auch noch viele Jahrzehnte bestehen werden. Aber es ist eben doch wichtig zu wissen: Da war jemand, der das aus tiefem innerem Verständnis auch aktiv vorangetrieben hat. Das hat uns nach dem Angriff der Russlands auf die Ukraine auch sehr geholfen und die NATO zum Beispiel auch zusammengeschmiedet.
Wir haben aber viele Dinge zu besprechen. Klar, wir haben auch das zu besprechen, was Sie gefragt haben, also diese Frage des 50-Milliarden-Dollar-Kredits. Das ist aber auf ganz gutem Weg, weil Europa ja seinen Teil gewährleisten kann und das auch so strukturiert ist, dass es auch eine Gesamtleistung von allen beteiligten G7-Staaten, also auch Großbritannien, Kanada, Japan und den USA, werden kann, und da bin ich ganz zuversichtlich.
Aber natürlich wird auch die internationale Situation eine ganz intensive Rolle spielen. Wir werden uns über die Frage unterhalten, wie wir die Lage in der Ukraine einschätzen und was zu tun ist. Das Gleiche gilt auch für die anderen Gespräche, die wir noch mit unseren Freunden aus Großbritannien und Frankreich führen. Das ist jetzt schon der richtige Moment. Ich bin sehr froh, dass ich mich viel absprechen konnte und dass ich mit dem amerikanischen Präsidenten, mit dem französischen Präsidenten, mit dem britischen Premierminister und mit dem ukrainischen Präsidenten Selenskyj sehr viel und intensiv diskutiert habe. Aber jetzt ist der Punkt, wo wir einmal gemeinsam versuchen, uns die Karten anzuschauen und daraus Schlussfolgerungen für das weitere Vorgehen zu ziehen.
Frage: Ich möchte gerne bei der Frage des Kollegen ansetzen, auch was das Gespräch mit Selenskyj betrifft: Es kommt ja immer wieder die Frage auf, warum wir uns durch Wladimir Putin rote Linien setzen lassen. Der Oppositionsführer hat ja gerade auch gesagt, dass er das umdrehen würde, sodass wir auch Wladimir Putin mehr rote Linien setzen. Er hat ganz konkret gesagt: Wenn er an Ihrer Stelle wäre, dann würde er da eine erste Deadline setzen und die Reichweitenbeschränkungen aufheben, dann eine zweite und, wenn binnen 24 Stunden die Angriffe nicht aufhören, dann auch Taurus liefern. Wie kommentieren Sie diesen Vorschlag, einfach einmal umgekehrt rote Linien zu setzen?
Wenn Sie erlauben, möchte ich noch einen weiteren Tag vorausschauen: Sie fliegen morgen Abend ja nach Istanbul. Dort gibt es auch wieder Gespräche zum Thema Migration. Welche Möglichkeiten hat die Türkei da auch bei der Rückführung von Asylsuchenden? Werden Sie Eurofighter an die Türkei verkaufen?
Bundeskanzler Scholz: Das waren ganz schön viele Fragen, aber ich will versuchen, sie zu beantworten.
Zunächst einmal fand ich – ich weiß gar nicht, wie man die richtigen Worte wählen soll – doch ein bisschen irritierend – um es auf die höflichste Weise auszudrücken –, was der Oppositionsführer da im Deutschen Bundestag gemacht hat. Er hat monatelang geschwiegen, als die Landtagswahlen in Sachsen, in Thüringen und in Brandenburg waren. Er hat sogar in einem Sommerinterview gesagt: Na ja, er hätte bei der Taurus-Sache etwas anderes entschieden, aber jetzt ist es anders gekommen, und so ist es jetzt. Und jetzt, wo die Wahlen zu Ende sind, äußert er sich plötzlich in der ganz umgekehrten Richtung. Da fragt sich der Bürger und die Bürgerin doch, was man davon halten soll. Ich frage mich das übrigens auch. Ich bin sehr irritiert. Mit klarer Haltung und Konsistenz hat das jedenfalls wenig zu tun, und das ist noch das Wenigste, was man dazu sagen kann.
Das Zweite: Ich bekenne mich dazu – ganz offenbar anders als der Oppositionsführer –, dass wir alles dafür tun müssen, dass die Ukraine unterstützt wird. Deutschland ist in Europa der größte Unterstützer der Ukraine, und das wird Deutschland auch bleiben, auch was Waffenlieferungen betrifft. Wir sind weltweit nach den USA der zweitgrößte Unterstützer, und das wird auch so bleiben. Ich habe aber immer gesagt: Wir haben auch Verantwortung dafür, dass der Krieg zwischen Russland und der Ukraine nicht zu einem Krieg zwischen Russland und der NATO eskaliert. Das bleibt auch meine Verantwortung, und deshalb werden sich alle Bürgerinnen und Bürger auch darauf verlassen können, dass ich verantwortlich und besonnen handeln werde. Ich habe klare Aussagen zu Taurus gemacht, an denen es nichts zu ändern gibt. Das halte ich nicht für eine richtige Lieferung und dabei bleibt es auch.
Umgekehrt stellt sich ja die Frage, ob es angesichts dessen, dass man da einen echten, furchtbaren Krieg hat, in dem unglaublich viel Material eingesetzt wird, verantwortlich ist zu sagen: „Wenn das nicht passiert, das machen wir das und dann machen wir das!“. Das ist eine Eskalationslogik, von der ich nicht glaube, dass sie besonnen ist, und auch nicht, dass sie klug bedacht ist. Das ist vielmehr nicht vernünftig.
Im Übrigen gibt es keine roten Linien des russischen Präsidenten, die irgendjemand von uns – ob es nun Präsident Biden, Primeminister Starmer, der französische Präsident Macron oder ich sind – für sich zum Maßstab hat. Das ist eine Erfindung von Leuten, die politische Reden in Deutschland halten, um es einmal platt zu sagen. Es geht vielmehr um Besonnenheit und Vernunft, und bei einem so schlimmen Krieg ist das auch mehr als angebracht.
Zu Ihrer zweiten Frage zur Türkei: Wir werden über viele Fragen diskutieren. Das Thema Migration ist natürlich immer auch eine dieser Fragen. Dass die Europäische Union und die Türkei da zusammenarbeiten, ist auch richtig und vernünftig. Ich habe das immer unterstützt und auch immer die Europäische Union aufgefordert, die entsprechenden Vereinbarungen zu verlängern. Insofern wird das natürlich eine Rolle spielen.
Wir haben auch noch viele andere Fragen zu bereden, was das bilaterale Verhältnis Türkei-Europa betrifft, was das Verhältnis Deutschland-Türkei betrifft, wir haben Fragen zu bereden, die sich um wirtschaftliche Entwicklungen drehen und darum, wie wir die Region insgesamt weiter gut entwickeln können, sodass es eine gute Nachbarschaft mit Griechenland und mit vielen anderen geben kann.
Selbstverständlich haben wir immer auch gesprochen – und werden auch diesmal darüber sprechen – über Lieferungen von Waffen an unseren NATO-Partner. Die Frage in Bezug auf Eurofighter ist eine Frage, die zwischen der britischen Regierung und der türkischen Regierung verhandelt wird; denn die Lead-Nation in dem Eurofighter-Typhoon-Gemeinschaftsprojekt ist Großbritannien. Wir sind aber natürlich auch klar in der Frage, ob wir das aufhalten würden oder nicht. Das ist aber ganz früh am Anfang, und deshalb haben wir gesagt: Verhandelt einmal.
Frage: Herr Bundeskanzler, ich würde gerne einmal auf die Frage meines Kollegen Herrn Gutschker beziehungsweise auf diese eine Passage zur Migration – außergewöhnliche Situationen erfordern geeignete Maßnahmen – zurückkommen. Heißt das für Sie, dass Polen wie angekündigt das Asylrecht teilweise aussetzen kann? Ist das noch eine Sonderregelung im Rahmen dessen?
Die zweite Frage ist: Der ungarische Ministerpräsident, Herr Orbán, möchte ja gerne Asylsuchende außerhalb der Europäischen Union in externen Hotspots ihr Asylverfahren durchlaufen lassen und gar nicht erst in die Europäische Union lassen. War das heute ein Thema? Wie stehen Sie dazu?
Bundeskanzler Scholz: Zunächst einmal haben wir uns sehr allgemein zu allen möglichen Grenzen geäußert, nicht nur zu einer speziellen – vielleicht relativiert das auch die Betrachtung und das, was man darunter vermuten muss –, und haben ganz bewusst formuliert, weil die einzelnen Maßnahmen ja weder schon klar bekannt beziehungsweise mit der Europäischen Union besprochen sind, wenn es welche für die Zukunft sind, dass wir da Maßstäbe nennen. Zu denen zählt eben, dass das europäische Recht und das internationale Recht eingehalten werden müssen. Das ist auch das Kriterium, im Rahmen dessen sich alles bewegt, was stattfindet. Ich finde, man darf nicht darum herumreden: Da ist ein richtiges Problem, und wer der polnischen Regierung das abspricht, sich mit dem Problem beschäftigen zu dürfen, der handelt nicht verantwortlich. Aber das bewegt sich eben in dem rechtlichen Rahmen, den wir insgesamt in der Europäischen Union und international haben.
Zusatzfrage: Victor Orbán und die externen Hotspots, durch die er die Asylbewerber gar nicht erst in die Europäische Union lassen möchte?
Bundeskanzler Scholz: Ich kann mit diesen Diskussionen wenig anfangen. Nach Deutschland sind im letzten Jahr mehr als 300.000 Frauen und Männer im Rahmen irregulärer Migration gekommen. Darunter waren auch viele, die am Ende erfolgreich Schutz gesucht haben, weil sie Gründe hatten, aber auch viele, bei denen das nicht der Fall war. Wir haben durch unsere Maßnahmen, die wir ergriffen haben, die Zahl erheblich reduziert. Die Zahl der Asylgesuche ist in den letzten Monaten – jedenfalls bis zuletzt berichtet – um etwa 50 Prozent zurückgegangen. Das zeigt ja, dass unsere Maßnahmen Wirkung zeigen. Aber wenn man diese Zahlen sieht, und andere Länder könnten ja Ähnliches darüber berichten, was es für Zugangszahlen in den Ländern gibt – wir sind immerhin erfolgreich dabei, sie zu reduzieren –, dann haben solche Spekulationen, ehrlich gesagt, wenig Sinn; denn wir müssen ja da erfolgreich sein. Wie Sie sehen, sind wir mit unseren Maßnahmen, die wir in Deutschland ergriffen haben, ziemlich erfolgreich, und es kommen ja weitere, zum Beispiel auch mit der GEAS-Reform, die wir in Deutschland umsetzen.
Frage: Ich habe Ihre Reaktion auf den Tod von Jihia Sinwar mitbekommen. Sie haben gesagt, Menschen, die für solche Gräueltaten wie die am 7. Oktober verantwortlich seien, müssten zur Verantwortung gezogen werden. Er ist natürlich solch ein Verantwortlicher. Glauben Sie, das könnte jetzt ein Moment sein, in dem sich Israel vielleicht zurückzieht und die Menschen in Gaza eine Pause bekommen? Seit einem Jahr tobt hier jetzt der Krieg. Bedeutet die Tötung dieses Hamas-Führers, der den 7. Oktober ja organisiert hat, dass sich Israel jetzt vielleicht zurückziehen kann?
Bundeskanzler Scholz: Wenn wir die große Zahl derjenigen sehen, die verletzt oder getötet worden sind - als Zivilbevölkerung, die nicht die Hamas ist –, dann versteht jeder, warum wir uns zusammen mit den USA und vielen anderen dafür einsetzen, dass jetzt bald ein Waffenstillstand zustande kommt und die Geiseln freigelassen werden, weil das das Beste für eine Befriedung der Situation wäre. Sie wissen, dass es den Vorschlag von President Biden und anderen gibt, wie ein solcher Waffenstillstand aussehen könnte. Den unterstützen wir voll und ganz. Das war gestern richtig und ist heute noch richtiger.
Frage: Ich habe zwei Nachfragen, zum einen zu Polen, wonach die Kollegin von der dpa schon fragte. Wenn ich Sie richtig verstanden habe, haben Sie gesagt, auch Polen müsse das europäische Recht und das internationale Recht einhalten. Haben Sie den Eindruck, dass diese Botschaft bei Herrn Tusk angekommen ist und er jetzt darauf verzichtet, das Asylrecht teilweise oder ganz auszusetzen?
Ich habe eine zweite Nachfrage zum Thema Friedenskonferenz. Sie sagten, es müsse eine neue mit Beteiligung Russlands geben. Haben Sie den Eindruck, dass dieses Vorhaben durch den Siegesplan von Herrn Selenskyj wahrscheinlicher geworden ist?
Bundeskanzler Scholz: Noch einmal: Wir haben hier nur allgemeine Kriterien festgelegt, und es ist auch jetzt nicht Sache des Europäischen Rats, aber auch nicht von Nachbarregierungschefs, irgendwie einzelne Handlungen von Nachbarregierungen zu beurteilen. Das kann man machen, muss man aber nicht. Wir haben jedenfalls eine gute Zusammenarbeit mit unserem Nachbarland Polen. Deshalb: Akzeptieren Sie einmal, dass ich Dinge, die noch gar nicht alle umgesetzt sind und über die eine Diskussion zwischen Kommission und dem Land stattfinden wird, nicht vorab beurteile und irgendetwas dazu sage, was da überhaupt konkret, tatsächlich geplant und gesagt werden wird. Ich finde, dass wir alle gemeinsam diese Maßstäbe für uns richtig finden, ist eine Selbstverständlichkeit. Die ist hier noch einmal festgehalten worden.
Ansonsten ist es ja doch wichtig, dass auf diesem Treffen in einer Weise, in der ich das noch nicht erlebt habe, die Erkenntnis gewachsen ist, dass wir den Herausforderungen am Ende schon nur gemeinsam als Europäische Union begegnen können. Ich glaube, mittlerweile gibt es kein Land, das irgendwann einmal gedacht hat: „Mit mir hat das ja alles nichts zu tun, das ist ja ganz woanders“, bei dem sich nicht plötzlich auch einmal die Herausforderung durch irreguläre Migrationsbewegungen eingestellt hat. Auch solche, die denken: „Wir liegen so ideal, das kann gar nicht passieren“, haben plötzlich dieses Thema. Das hat, glaube ich, zu einem ganz konstruktiven Diskussionsansatz beigetragen.
Trotzdem sind wir noch nicht da, wo wir sein wollen. Wir müssen diese Zusammenarbeit für gemeinsames Vorgehen noch entwickeln. Sie haben gemerkt, wie alle über die Entscheidung diskutiert haben, die ich in Deutschland getroffen habe, dass wir jetzt an allen deutschen Außengrenzen und in den Grenzbereichen Kontrollen durchführen – mit großer Wirkung, wie man ausdrücklich dazusagen muss. Wir werden effektive europarechtskonforme Zurückweisungen durchführen. Das bereiten wir gerade vor. Das ist auch angekündigt. Aber am besten ist natürlich, dass das gesamte System funktioniert, so wie wir uns das mit dem Gemeinsamen Europäischen Asylsystem vorgenommen haben, und diese Erkenntnis wächst auch jeden Tag.
Stellvertretende Regierungssprecherin Christiane Hoffmann: Die zweite Frage betraf die Friedenskonferenz.
Bundeskanzler Scholz: Ich finde, das, was ich Ihnen hier gesagt habe, ist ja, wenn ich das einmal sagen darf, nicht neu, sondern Sie haben ja die Friedenskonferenz auf dem Bürgenstock verfolgt, und dort hat die Konferenz – für diejenigen, die das gut vorbereitet haben, nicht zufällig, aber doch eben auch – mit dem Ergebnis geendet, dass der ukrainische Präsident gesagt hat, eine weitere solle stattfinden, mit Russland dabei.
Natürlich kann man das nicht einfach so aus der Hand schütteln. Das ist nicht eine Sache, die man einmal eben abends beschließt, und morgens ist es dann so. Da sind ja viele Beteiligte gemeint. Das ist ganz, ganz kompliziert, wenn wir sehen, dass der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine ja mit unverminderter Härte vorgetragen wird und man überhaupt nicht sehen kann, dass da irgendeine Zurückhaltung oder eine Veränderung des Vorgehens abzusehen ist. Das zeigt dann ja nur, wie schwer es ist, am Ende auch vernünftige Ergebnisse zu erreichen. Aber man muss sich eben genau das vornehmen, und darüber haben wir erneut beraten.
Ich glaube, dass wir mit den Entscheidungen, die wir getroffen haben, und mit der gezeigten Solidarität, natürlich der Ukraine in dieser Richtung sehr helfen. Ich glaube, das Wichtigste, was da hilft, ist die Tatsache, dass jetzt diese große fiskalische Unterstützung real wird und auch nicht mehr aufgehalten werden kann. Das ist ein klares Zeichen an die Ukraine, eines der Solidarität für sie, und ein klares Zeichen an Putin.
Frage: Herr Bundeskanzler, Sie wissen, der Siegesplan von Herrn Selenskyj sieht eine sofortige Einladung in die NATO vor. Wie stehen Sie dazu?
Bundeskanzler Scholz: Es ergibt gar keinen Sinn, diesen Friedensplan im Einzelnen öffentlich zu diskutieren. Wir tun das natürlich intern, und ich treffe mich, wie Sie ja mitbekommen haben, ununterbrochen mit sehr vielen relevanten Akteuren. Dieser Friedensplan ist mir ja jetzt nicht heute bekannt geworden, sondern auch schon länger bekannt, auch in Details, die nicht für Sie zugänglich sind oder jedenfalls nicht zugänglich sein sollten. Insofern ist es wichtig, dass wir das genau betrachten.
Wir haben eine Ausgangslage, die Sie kennen. Zu dieser Ausgangslage gehören die guten Beschlüsse, die wir in Vilnius und Washington in Sachen NATO getroffen haben. Zu dieser Ausgangslage gehören auch unterschiedliche nationale Entscheidungen. Sie wissen, wie ich mich entschieden habe, was bestimmte Waffensysteme und die Möglichkeiten, sie einzusetzen, betrifft. Das diskutieren wir jetzt alles, was da so ist.
Frage: Herr Bundeskanzler, wenn ich Sie richtig verstanden habe, haben Sie gesagt, es sei die Erkenntnis gewachsen, dass man sich gemeinsam den Herausforderungen der Migration stellen müsse. Jetzt sprechen ja die Niederlande und Ungarn von einem Opt-out aus GEAS. Wie passt das zusammen?
Bundeskanzler Scholz: Ein Opt-out ist nicht vorgesehen. Das wissen auch beide. Die Niederländer haben es ja sogar gesagt.
Frage: Ich habe noch einmal eine Nachfrage zu der Ermordung von Herrn Sinwar. Eine kurze Einschätzung Ihrerseits? Macht es das jetzt einfacher oder schwieriger, die Geiseln in Israel zu befreien?
Wenn Sie noch einmal zum Stichwort Siegesplan antworten könnten: Warum ist es so schwierig, den Siegesplan auch in die Schlussfolgerung aufzunehmen? Warum war das nicht möglich?
Bundeskanzler Scholz: Erstens war das gar nicht geplant. Für die meisten der dort anwesenden Staats- und Regierungschefs ist es das erste Mal gewesen, dass sie diesen Plan in Einzelheiten kennenlernen konnten - das ist jetzt in diesen Tagen auch durch die Debatte im ukrainischen Parlament öffentlich geworden -, und deshalb stand das zu keiner Zeit zur Debatte. Diese Vorschläge, die dort gemacht worden sind, werden jetzt in allen möglichen Gremien von allen möglichen Personen erwogen und diskutiert.
Ich will das noch einmal dazusagen: Es gibt ja auch Haltungen und Meinungen, die Sie schon kennen, und ich habe das eben schon auf die Frage Ihres Kollegen einzugrenzen versucht.
Stellvertretende Regierungssprecherin Hoffmann: Das andere war die Frage nach Sinwar.
Bundeskanzler Scholz: Wer weiß das? Ich nicht, wahrscheinlich niemand. Deshalb, finde ich, sollte man auch nicht eine Spekulation über die Frage anstellen, ob das leichter oder schwieriger wird. Ich kann Ihnen jedenfalls sagen: Es ist furchtbar, dass diese Geiseln dort immer noch in der Gewalt der Hamas sind. Ich habe mit vielen der Angehörigen gesprochen, die wirklich bitter verzweifelt sind. In Deutschland habe ich das gemacht. Ich habe das getan, als ich bei den verschiedenen Israelbesuchen war, die ich hatte. Das waren schon sehr berührende Diskussionen, weil man nicht weiß, ob der Bruder, der Onkel, die Tante, die Mutter, der Vater noch leben, die Kinder, in welchem Zustand sie sind, ob man sie je wiedersehen wird. Deshalb ist das schon eine sehr unmenschliche Situation, der sie ausgesetzt sind. Das zeigt noch einmal, wie brutal der Angriff der Hamas war und dass es eben auch berechtigt ist, dass sich Israel gegen die Hamas zur Wehr setzt.
Frage: Ich hätte noch eine Frage zur Diskussion über Rückführungen, aber auch zur Region im Nahen Osten. Einzelne Länder fordern jetzt, über Abschiebungen nach Syrien zu sprechen, aktuell auch mit dem Argument, dass man sehe, dass das Land sicher sei, weil aus dem Libanon vor Kämpfen und Angriffen mehr als 200.000 Menschen nach Syrien geflüchtet sind. Teilen Sie diese Auffassung? Kann nach Syrien abgeschoben werden beziehungsweise unter welchen Umständen wäre das möglich? Sie haben vorher schon von europarechtskonformen Rückführungen gesprochen.
Bundeskanzler Scholz: Sie wissen, dass wir eine größere Zahl afghanischer Straftäter, die in Deutschland gelebt haben, oder von Afghanen, die Straftaten begangen haben, nach Afghanistan zurückgeführt haben. Das war etwas kompliziert, aber es ist uns gelungen, und es wird auch weitere solcher Rückführungen von Straftätern nach Afghanistan geben. Das Gleiche würden wir gerne für Straftäter nach Syrien vornehmen. Das ist noch komplizierter, wie man sich leicht vorstellen kann, aber auch da versuchen wir, unsere Möglichkeiten zu eruieren.
Das ist aber keine Debatte für die Tribüne, um es so zu sagen. Das muss klug ausgelotet werden. Deshalb konnte ich über Wochen hinweg immer nur sagen „Wir versuchen, das mit einer Abschiebung von Straftätern nach Afghanistan hinzubekommen“, und alle haben gesagt. Wann denn, wann denn, wann denn? – Irgendwann war es denn so weit. Aber in dem Augenblick, in dem ich angefangen hätte, Zwischenstände und „das klappt, das klappt nicht“ zu erörtern, wäre das alles nie zustande gekommen. Da muss ein Staat mit seinen Möglichkeiten also schon klug agieren. Das haben wir geschafft, und vielleicht ist das das Zeichen, dass uns das auch in anderen Fällen, die auch kompliziert sind, gelingt.