Nicht in Schubladen denken

Flüchtlinge integrieren Nicht in Schubladen denken

Arbeit und Ausbildung sind Grundsteine für die erfolgreiche Integration von Flüchtlingen. Wie ihr beruflicher Einstieg gelingen kann, lässt sich gut in der Agentur für Arbeit Bamberg-Coburg beobachten.

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Arbeitsvermittlerin berät einen jungen Mann aus Afghanistan

Arbeitsvermittlerin Anke Beyer von der Arbeitsagentur Bamberg-Coburg betreut derzeit 30 Geflüchtete.

Foto: Felix Abraham

"Wir sind hier in einer Gegend nah an der Vollbeschäftigung", sagt Brigitte Glos, Leiterin der Agentur für Arbeit Bamberg-Coburg. "Viele ansässige Unternehmen brauchen dringend mehr Fachkräfte. Gut ausgebildetes Personal wird immer knapper." Die vielen Flüchtlinge, die nach Deutschland gekommen sind, sollen die Engpässe nun schließen. Damit verbunden sind auch hohe Erwartungen an die Arbeitsagentur, weiß die Agentur-Chefin.

Rund 10.000 Geflüchtete sind derzeit in Oberfranken untergebracht. Sie haben noch viele Beschäftigungsjahre vor sich. Die meisten sind männlich und jünger als 35 Jahre, berichtet Glos. Kraftfahrzeugmechaniker, Köche und Bauhelfer finden sich genauso unter ihnen wie Ärzte, Architekten oder Hausfrauen.

Bisher angekommen seien auch knapp 1.000 Minderjährige, die sich ohne Begleitung auf den Weg nach Deutschland gemacht haben. Sie für eine betriebliche Ausbildung zu gewinnen, ist festes Ziel von Glos.

Kleine und große Hindernisse

Bei aller Zuversicht bleibt Glos realistisch. Sie kennt die Hürden auf dem Weg in Arbeit oder Ausbildung: Oft können die Geflüchteten nur ihre Muttersprache. Auch einige Analphabeten seien unter ihnen. Bei einem Viertel der Eingereisten handele es sich um Frauen, die zum Teil noch nie berufstätig waren. Kaum jemand habe den Führerschein, was die Vermittlung gerade im ländlichen Raum sehr erschwere. Sie alle verbinde aber ein Traum: in Deutschland zu leben und zu arbeiten.

Kreative Vermittlung

Dem Traum ein Stück zur Wirklichkeit zu verhelfen, ist Aufgabe von Anke Beyer. Als Arbeitsvermittlerin unter Glos‘ Leitung betreut sie aktuell 30 Geflüchtete aus verschiedenen Nationen. "Nicht in Schubladen zu denken, unvoreingenommen zu sein, darauf kommt es an", sagt sie. Wer zu ihr komme, sei erstmal wie ein weißes Blatt.

Beyer braucht so viele Informationen wie möglich, um den richtigen Ansatz für die Vermittlung zu finden. Die Geflüchteten kennen den deutschen Arbeitsmarkt nicht. Beyer muss viel erklären. Sprachbarrieren überwindet sie mit einem Mix aus Deutsch, Englisch und Russisch. Notfalls kommen auch Hände und Füße zum Einsatz. Da ist sie kreativ geworden.

Erste Übernahmeangebote

"Integration braucht Zeit und gelingt nur mit einem funktionierenden Netzwerk", ergänzt Beyer. Mit den Mitarbeitern der Fortbildungszentren der Bayerischen Wirtschaft steht sie deshalb in engem Kontakt. Gemeinsam suchen sie im Projekt "Perspektiven für Flüchtlinge" nach beruflichen Möglichkeiten für die Ankömmlinge.

In kleinen Gruppen mit ähnlicher Vorbildung lernen die Flüchtlinge berufsbezogen Deutsch und wie man eine Bewerbung schreibt. Fester Bestandteil des Programms sind auch mehrwöchige Praktika in örtlichen Unternehmen. Beyer freut sich, wenn sie an die Flüchtlinge aus dem letzten Durchgang denkt: Übernahmeangebote von Handwerksbetrieben gibt es schon. Die Arbeitgeber loben besonders ihre Lernbereitschaft und Zielstrebigkeit.

Bürokratie überwinden

Davon ist auch Beyer beeindruckt. Manchmal muss sie jedoch die Erwartungen dämpfen. Das betrifft auch diejenigen mit hohem Bildungsstand. Die ausländischen Qualifikationen entsprechen oft nicht den deutschen. Das Anerkennungsverfahren ist langwierig. Häufig fehlen Unterlagen.

Die Mitarbeiter im Bildungszentrum sind auch deshalb wertvolle Partner für Beyer: Sie nehmen den Flüchtlingen viel Bürokratie ab und helfen ihnen beispielsweise eine Arbeitserlaubnis zu beantragen.

Wunsch und Wirklichkeit

Die Chancen des Projekts will auch Munir Ayobi aus Afghanistan nutzen. Er hat Finanzwissenschaften studiert, spricht sechs Sprachen. Nun kommt Deutsch dazu. Eine schwere Sprache sei das. Nach dem Studium war er in seinem Heimatland für das amerikanische Verteidigungsministerium aktiv. Drohungen der Taliban hätten ihn und seine Familie zur Flucht gezwungen, erzählt er.

Jetzt wünsche er sich einen Neustart in Sicherheit. Fleißig schreibt er jeden Tag Bewerbungen. Die Zusage für ein Praktikum an der Coburger Hochschule hat er kürzlich erhalten. Dort wird er in der Wirtschaftsfakultät mitarbeiten. Er will sein ganzes Können zeigen und hofft auf eine feste Beschäftigung im Anschluss.

Zwei Frauen blicken gemeinsam auf Bildschirm eines Computers.

Dozentin Alexandra Dimitronka hilft Maryna Subbotina beim Erstellen einer Bewerbung.

Foto: Felix Abraham

Maryna Subbotina sitzt ebenfalls im Kurs. Sie und ihre Familie sind vorm Bürgerkrieg in der Ostukraine geflohen. Juristin und Betriebswirtin ist sie, bringt also zwei akademische Abschlüsse mit. Beide werden in Deutschland nicht anerkannt. Zu verschieden seien die Studieninhalte.

Entmutigen lasse sie sich davon nicht. Sie wolle arbeiten und niemanden etwas kosten, betont sie mehrfach. Vieles sei vorstellbar. Ideal wäre eine Aufgabe, bei der ihre Vorerfahrungen nützlich sind. Büroarbeiten lägen ihr. Das Angebot für ein sechswöchiges Praktikum in der Stadtverwaltung Coburg passe deswegen gut. Ihr Vorteil: Deutsch wird in der Ukraine als zweite Fremdsprache gelehrt. Sie spricht es fast fließend.

Junge Flüchtlinge in Ausbildung

"Mit dem Deutsch wachsen das Selbstbewusstsein und die Erfolge der Flüchtlinge", weiß auch Beyers Kollegin Susan Dörfler zu berichten. Die Berufsberaterin der Agentur Bamberg-Coburg kümmert sich um junge unbegleitete Flüchtlinge auf dem Weg ins Berufsleben.

Wichtig sei ein frühzeitiger Start. Von Anfang an wolle Dörfler den schulpflichtigen Flüchtlingen den Wert einer Ausbildung verdeutlichen. In ihrem Netzwerk arbeitet sie mit Schulen, Kammern, Jugendämtern und Vereinen eng zusammen. Dadurch könne sie direkt in den Wohngruppen informieren, welche Vorteile eine Ausbildung habe. Auch in den Übergangsklassen der Schulen wirbt sie dafür.

Die betriebliche Ausbildung in Deutschland sei besonders, da Theorie und Praxis eng verbunden sind - für die meisten Flüchtlinge ein unbekanntes Modell. Langsam und mit einfachen Worten erklärt sie es ihnen. Auch wenn einige das schnelle Geld durch Hilfsjobs reize, eine gute Ausbildung sei langfristig die bessere Wahl.

Über die Praxis die Theorie verstehen

An den Berufsfachschulen ist Dörfler ebenfalls anzutreffen. In zwei sogenannten Berufsintegrationsjahren (BIJ) sollen die jungen Flüchtlinge fit für den Ausbildungsmarkt gemacht werden. Ziel sei, dass über 16-Jährige mindestens den Hauptschulabschluss erreichen. Gleichzeitig sammeln sie praktische Erfahrungen, beispielsweise im Werkstattunterricht. Durch Anfassen und Machen werde das Theoretische viel besser verstanden, so die Berufsberaterin.

Ob Flüchtling oder einheimischer Jugendlicher, das Ausprobieren von Berufen ist wichtig. Deswegen sind Schnupperpraktika in den BIJ-Klassen fest vorgesehen. Mit Hilfe der Kammern konnte Dörfler gute Kontakte zu Betrieben herstellen.

Sie ist stolz auf die ersten zwölf BIJ-Schüler in ihrer Betreuung. Alle haben den Hauptschulabschluss bestanden, acht sogar den qualifizierten. Nur einer der zwölf habe noch keinen Ausbildungsplatz. Der Rest wird nun überwiegend im Handwerk ausgebildet.