Konflikt entschärfen, Reformen unterstützen

Ukraine-Krise Konflikt entschärfen, Reformen unterstützen

Die Bundesregierung will die Ukraine bei ihren Reformen unterstützen und ihr helfen, die territoriale Integrität zu bewahren. Das versicherte die Bundeskanzlerin dem ukrainischen Staatspräsidenten Poroschenko. Außenminister Steinmeier hob die Bedeutung der OSZE bei der Entschärfung des Konflikts hervor.

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Auf der OSZE-Ministerratstagung in Basel bezog Außenminister Frank-Walter Steinmeier zum Konflikt in der Ukraine Stellung. Er sehe die Staatengemeinschaft "vor der größten Herausforderung seit dem Ende des Kalten Krieges".

OSZE mehr denn je gefragt

Der Minister konstatierte: "Die völkerrechtswidrige Annexion der Krim, die militärische Auseinandersetzung in der Ost-Ukraine und das Vorgehen Russlands gefährden die europäische Friedensordnung unmittelbar." Über Jahrzehnte aufgebautes Vertrauen sei in wenigen Monaten verlorengegangen.

Militärische Lösungen werde es nicht geben. "Deshalb werden wir den mühsamen Weg von Verhandlungen - von Konfliktentschärfung, Waffenstillstand, Vor- und Rückschritt bei der Durchsetzung, hoffentlich dann auch Schritte zu einer politischen Lösung - gehen müssen", sagte Steinmeier und fügte hinzu: "Dabei brauchen wir die OSZE heute mehr denn je."

Zuvor hatte Steinmeier auf der Nato-Außenministertagung in Brüssel dafür geworben, den aktuellen "Zustand der Kontaktlosigkeit" mit Russland zu überwinden. Im weiteren Umgang gehe es darum, auch in kritischen Zeiten ein Mindestmaß an Austausch sicherzustellen.

Beistand für die neue Regierung

Die Kanzlerin hatte am 1. Dezember abermals mit dem ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko telefoniert. Sie besprach mit ihm die Lage in der Ukraine nach dem Abschluss der Koalitionsverhandlungen und der erneuten Wahl von Arsenij Jazenjuk zum Ministerpräsidenten. Bereits in der Woche zuvor hatte Merkel Jazeniuk in einem Glückwunschtelegramm die Unterstützung der Bundesregierung zugesichert.

Mit den Wahlen vom 26. Oktober hätten sich die Bürgerinnen und Bürger der Ukraine für einen demokratischen, selbstbestimmten Weg der Reformen entschieden. Die Bundesregierung werde weiter alles daran setzen, zur Deeskalation der Lage im Osten der Ukraine beizutragen. Die Ukraine müsse souverän und in voller territorialer Integrität über ihre Zukunft entscheiden können.

Reformagenda umsetzen

Bedeutend sei jetzt, so die Bundeskanzlerin in ihrem Telefonat, dass die Reformagenda der neuen Regierung schnell in Angriff genommen werde. Sie umfasst die Bereiche Rechtsstaatlichkeit sowie die Stärkung der Institutionen und der Wirtschaft. Die Krise in der Ostukraine mache dies noch dringlicher. Deutschland und die Europäische Union würden das Land auf diesem Weg weiter tatkräftig unterstützen, versicherte die Kanzlerin.

Merkel und Poroschenko waren sich einig, dass die Minsker Vereinbarungen die entscheidende Grundlage für eine Deeskalation der Lage in Donezk und Lugansk bietet. Die Kontaktgruppe aus Vertretern der Ukraine, Russlands und der OSZE müsse rasch wieder zusammenkommen. Entscheidend sei die Einhaltung des im September vereinbarten Waffenstillstands.

Das Minsker Abkommen vom 5. September sieht den Abzug schwerer Waffen, den Austausch von Gefangenen und eine Überwachung sowohl des Waffenstillstands als auch der ukrainisch-russischen Grenze durch die OSZE vor. Ein Hauptanliegen angesichts des bevorstehenden Winters ist die Verbesserung der humanitären Lage in der Ostukraine.

Nato-Beitritt der Ukraine derzeit kein Thema

Außenminister Frank-Walter Steinmeier hatte am Wochenende bilanziert, die Beziehungen zwischen Russland und der Europäischen Union seien gestört. Es sei "viel Porzellan zerschlagen worden in diesen letzten Monaten, Vertrauen zerstört worden." Es werde lange dauern, bis es wiederaufgebaut sein werde. Um den Konflikt unter Kontrolle zu halten, sei es aber notwendig, Gesprächskanäle offenzuhalten.

Steinmeier stellte auch klar, eine Nato-Mitgliedschaft der Ukraine stehe nicht auf der Tagesordnung. "Ich sehe die Ukraine jedenfalls nicht auf dem Weg in die Nato. Das mögen vielleicht andere öffentlich zurückhaltender formulieren, aber ich weiß, dass es viele so sehen. Und ich bin für Klarheit in dieser Sache." Dies zu sagen, gehöre zur außenpolitischen Verantwortung.

Außenamtssprecher Schäfer erläuterte hierzu in der Regierungspressekonferenz am Montag, es stehe der Ukraine frei, einen Beitrittsantrag zu stellen. Genauso selbstverständlich stehe es den Nato-Mitgliedern frei, darüber zu beraten, wie mit diesem umgegangen werde. "Das ist aber alles wirklich Zukunftsmusik", betonte der Sprecher. "Niemand behauptet - auch der ukrainische Präsident nicht - dass die Ukraine derzeit die dafür von der Nato festgelegten Kriterien und Voraussetzungen auch nur annähernd erfüllt."

Annexion der Krim unentschuldbar

In ihrer Rede in der Haushaltsdebatte im Bundestag hatte Bundeskanzlerin Merkel an den Gipfel der Östlichen Partnerschaft vor einem Jahr in Vilnius erinnert. Dort sollte das Assoziierungsabkommen der Europäischen Union mit der Ukraine, Georgien und Moldawien unterzeichnet werden. Der damalige ukrainische Präsident Viktor Janukowitsch entschied sich jedoch kurzfristig gegen eine Unterschrift.

Über mögliche Schwierigkeiten für den ukrainisch-russischen Handel wegen des Abkommens habe sie "wieder und wieder mit dem russischen Präsidenten gesprochen", so die Kanzlerin. Dennoch müsse gelten: "Nichts davon rechtfertigt oder entschuldigt die Annexion der Krim durch Russland. Nichts davon rechtfertigt oder entschuldigt die direkte oder indirekte Beteiligung Russlands an den Kämpfen in Donezk und Lugansk."

Die Kanzlerin hatte am 18. November 2013 im Bundestag ausgeführt: "Wir müssen - das ist meine tiefe Überzeugung - weiter daran arbeiten, dass es kein Entweder-Oder zwischen einer Annäherung der Länder der Östlichen Partnerschaft an die EU und dem russischen Bemühen um eine engere Partnerschaft mit diesen Ländern geben soll. Die EU hat Russland dafür Vorschläge unterbreitet, über die wir schnellstmöglich sprechen müssen."

Europäische Friedensordnung in Gefahr

Russland missachte nach wie vor die territoriale Integrität der Ukraine, kritisierte die Kanzlerin. Und dies, "obwohl Russland sich gemeinsam mit Großbritannien und den Vereinigten Staaten von Amerika im Budapester Memorandum 1994 genau zum Schutz dieser territorialen Integrität verpflichtet hat." Dieses Vorgehen Russlands stelle die europäische Friedensordnung in Frage und breche internationales Recht.

Außenminister Steinmeier bekräftigte am Wochenende, es sei "uns schlicht nicht erlaubt", die völkerrechtswidrige Annexion der Krim "zu ignorieren, zu vergessen oder jetzt schlicht und einfach zu übergehen." Das werde ein Konfliktthema zwischen Deutschland und Russland bleiben.

Im gleichen Zusammenhang hatte Regierungssprecher Steffen Seibert auf den sogenannten "Bündnis- und strategischen Partnerschaftsvertrag" Russlands mit der abtrünnigen georgischen Region Abchasien verwiesen. Damit würden die laufenden Bemühungen erschwert, den Konflikt mit Abchasien und Südossetien im Rahmen der Genfer Gespräche friedlich beizulegen. Die Bundesrepublik stehe jedoch zu Georgiens territorialer Integrität.

Sanktionen unvermeidlich ...

Die Bundeskanzlerin hatte in ihrer Parlamentsrede betont, militärisch sei der Konflikt in der Ukraine nicht zu lösen: "Dialog kann Konflikte entschärfen, Gemeinsamkeiten aufzeigen und Vertrauen schaffen." Die Politik der Bundesregierung folge deshalb einem Ansatz aus drei Elementen: "Erstens: Wir unterstützen die Ukraine politisch und auch ökonomisch. Zweitens: Wir lassen nichts unversucht, in Gesprächen mit Russland zu einer diplomatischen Lösung zu kommen."

Die Kanzlerin wies auf ihre Gespräche mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin zuletzt in Brisbane hin. Auch habe Außenminister Steinmeier unlängst mit Putin und dem russischen Außenminister Lawrow in Moskau und Wien gesprochen.

"Wir setzen uns für die Einhaltung des Minsker Abkommens ein. Wir sind bereit zu Gesprächen zwischen der Eurasischen Union und der Europäischen Union über Handelsfragen", sagte Merkel. Dennoch sei die Situation in Donezk und Luhansk noch immer weit entfernt von einem Waffenstillstand. "Und deshalb sind und bleiben – drittens – wirtschaftliche Sanktionen unvermeidlich", stellte die Kanzlerin klar.

... aber kein Selbstzweck

Außenminister Steinmeier führte hierzu auf dem Wirtschaftsforum in Berlin aus, der durch Sanktionen ausgeübte Druck sei niemals Selbstzweck: "Sondern Druck soll Bewegung erzeugen – Bewegung zurück an den Verhandlungstisch." Steinmeier warnte: "Aber es ist nicht Ziel unserer Sanktionen, Russland ökonomisch niederzuringen. Das ist brandgefährlich. Ein destabilisiertes, gar kollabierendes Russland ist am Ende für sich selbst und andere die viel größere Gefahr." Deshalb müssten alle Möglichkeiten zu Verhandlung und Dialog genutzt werden. Dazu gehöre auch das zivilgesellschaftliche Gesprächsformat "Petersburger Dialog". Hier solle man über eine moderne, offenere Struktur nachdenken.

Der Petersburger Dialog ist ein Forum von Partnern aus den Zivilgesellschaften Deutschlands und Russlands. Er wurde 2001 vom damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder und Präsident Wladimir Putin in Leben gerufen. Er wird getragen vom Deutsch-Russischen Forum, einer Nichtregierungsorganisation (Ko-Vorsitzender: Lothar de Maizière). Die Bundeskanzlerin ist Schirmherrin des Petersburger Dialogs.

Stärke des Rechts durchsetzen

Auch Regierungssprecher Steffen Seibert hatte am Mittwoch betont: "An der Bereitschaft, im Gespräch zu bleiben, um für die Menschen in der Ukraine gute Lösungen und Wege hin zu einer Deeskalation zu finden, hat sich nichts geändert."

Geduld und ein langer Atem seien notwendig, um die Krise zu überwinden, so das Fazit der Kanzlerin im Bundestag. Denn im Mittelpunkt der gemeinsamen Bemühungen stehe "eine souveräne und territorial unversehrte Ukraine, die über ihre Zukunft – nicht mehr und nicht weniger – selbst entscheiden kann."

Merkel bekräftigte: "Das Ziel ist die Durchsetzung der Stärke des Rechts gegen das vermeintliche Recht eines Stärkeren. Und so lang und anstrengend der Weg auch ist, so überzeugt bin ich dennoch, dass er uns gelingen wird."