"Meine gepackte Tasche ist immer griffbereit"

Technisches Hilfswerk "Meine gepackte Tasche ist immer griffbereit"

Zerstörte Häuser, verunsicherte Menschen, ständige Nachbeben – es war eine dramatische Lage in Albanien Ende November. Ein Erdbeben hatte schwere Zerstörungen angerichtet, internationale Helfer reisten in das Gebiet, um Hilfe zu leisten. Mit dabei: Achill Holzer. Im "normalen" Leben forscht und lehrt er an der RWTH Aachen, aber schon zum vierten Mal war er jetzt für das THW im Auslandseinsatz. Hier schildert er, was er erlebt hat und was ihn antreibt.

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THW-Helfer Achill Holzer bei seinem Einsatz in Albanien, sitzt gemeinsam mit einem weiteren internationalen Helfer an einem Tisch und schaut auf einen Laptop.

Achill Holzer (li.) bei seinem Einsatz in Albanien - hier im Austausch mit einerm weiteren internationalen Helfer.

Foto: European Union/Lisa Hastert

Herr Holzer, Sie sind am 6. Dezember von Ihrem Einsatz im Erdbebengebiet zurückgekehrt. Welches Bild zeigte sich Ihnen bei Ihrer Ankunft in Albanien?

Die ersten Eindrücke sind immer von der Ungewissheit geprägt, was einen genau erwartet. Natürlich macht man sich auf dem Weg ins Einsatzgebiet Gedanken, wie es dort aussehen mag. Wir sind am Flughafen in Tirana angekommen, dort waren keine sichtbaren Schäden erkennbar. Wir sind dann direkt in unser geplantes Einsatzgebiet nach Durrës weitergefahren. Auf dem Weg dorthin haben wir schon die ersten eingestürzten Gebäude entdeckt.

Welchen Eindruck hatten Sie von den Menschen vor Ort?

Es waren sehr viele Menschen auf der Straße, die offensichtlich nicht mehr in ihren Häusern bleiben konnten. Man hatte das Gefühl, dass dort eine große Furcht und Sorge vorherrschte.

Wie schätzen Sie die Lage jetzt, rund drei Wochen nach dem Beben, vor Ort ein?

Zu den positiven Sachen kann man sagen, dass die Einsatzkräfte sämtliche verschütteten Personen gefunden und geborgen haben. Auch die anfangs rund 4.000 obdachlosen Personen konnten in Camps oder bei Verwandten untergebracht werden. Jetzt werden alle Gebäude überprüft, damit die Menschen schnellstmöglich wieder zurück in ihre Häuser können.

Sie selber waren knapp zehn Tage vor Ort im Einsatz. Was war dort Ihre Aufgabe?

Die Aufgabe des "Technical Assistance Support-Teams" (TAST) des THW ist in diesem Fall, vor Ort die Kommunikation und die Koordinierung des europäischen Rettungseinsatzes, des so genannten "EU-Civil Protection Teams" (EUCPT),  sicherzustellen. Dafür haben wir verschiedene IT-Geräte dabei, etwa Laptops, aber auch Geräte für die Satellitenkommunikation. Ziel ist es, den Rettungskräften das Arbeiten im Einsatzgebiet zu erleichtern und bei Koordinierungsaufgaben helfend einzugreifen.

Am 26. November 2019 bebte in Albanien die Erde – für die Region war es das stärkste Erdbeben seit Jahrzehnten. Hunderte Nachbeben erschwerten die Rettungs- und Aufräumarbeiten. 51 Menschen verloren ihr Leben, mehr als 650 Personen wurden verletzt. Bereits einen Tag später, am 27. November 2019, ist ein zweiköpfiges "Technical Assistance Support Team" (TAS-Team) des THW im Krisengebiet im Einsatz. Aufgrund der Schwere der Schäden hatte Albanien ein internationales Hilfeersuchen gestellt. Mit dem Einsatz des THW beteiligt sich die Bundesregierung an einem von der EU koordinierten, internationalen Hilfseinsatz.

Trainieren Sie solche Szenarien vorher und ist der Einsatz so verlaufen, wie geplant?

Nach der Grundausbildung gibt es im THW die Möglichkeit, sich auch für Einsätze im Ausland zur Verfügung zu stellen. Dann erhält man unter anderem einen IT-Grundkurs, in dem ein Techniktraining stattfindet und die Einsatzkräfte lernen, etwa mit Satellitenkommunikation umzugehen.
Später gibt es über die EU die Möglichkeit, an länderübergreifenden Übungen teilzunehmen und diese Einsatzsituationen zu simulieren. Konkret versuchen dann Einsatzkräfte aus verschiedenen Nationen als Team gemeinsam eine Schadenslage zu koordinieren. Da gibt es dann praktische Möglichkeiten, diese Szenarien zu üben.

Nun bereiten sich eine ganze Reihe von Freiwilligen auf solche Einsätze vor. Warum fiel beim Einsatz  in Albanien dann die Wahl auf Sie?

Es gibt beim THW einen Pool von rund 50 TAST-Helfern, die entsprechend ausgebildet sind. Es wird dann abgefragt, welche Personen aktuell verfügbar sind. Ich kann von Glück reden, dass ich einen verständnisvollen Arbeitgeber habe, der es mir ermöglicht, auch mal kurzfristig ins Ausland zu gehen.

Ein Helfer der EU vor einem zerstörten Haus im albanischen Erdbebengebiet.

Zerstörte Häuser, viele Nachbeben: Die EU unterstützt Albanien bei den Rettungsmaßnahmen nach dem schweren Erdbeben.

Foto: European Union/Lisa Hastert

Wenn dann bei Ihnen das Telefon klingelt und Sie zum Einsatz gerufen werden: Wie schnell müssen Sie denn dann einsatzbereit sein?

Das hängt immer ein wenig vom Einsatz ab. Generell gilt: Innerhalb weniger Stunden nach der Alarmierung sollte man abflugbereit am Flughafen sein.

Das heißt, Sie haben zu Hause eine gepackte Tasche jederzeit griffbereit?

Genau, ich habe immer eine gepackte Tasche griffbereit - mit persönlichen Dingen, die ich ergänze, wenn ich weiß, wo es konkret hingeht. Brauche ich Winterkleidung? Ist besonderer Insektenschutz notwendig? Aber der Grundstock ist eigentlich immer gepackt. 
Ergänzend übernehmen wir dann am Flughafen die notwendige Ausrüstung aus einem THW-Zentrallager, so dass wir möglichst zeitnah starten können.

Sie sind seit zwölf Jahren im THW engagiert. Was hat Sie 2007 dazu gebracht, beim THW mitmachen zu wollen?

Ich hatte immer schon Spaß und Freude an Technik. Das THW bietet einem da sehr viele Möglichkeiten. Konkret zum THW bin ich damals über einen Klassenkameraden gekommen, der mir angeboten hatte, einmal mitzukommen. Seitdem bin ich dabei. Im THW habe ich immer mal wieder wechselnde Aufgaben übernommen, vor einigen Jahren bin ich dann ins "Auslandsgeschäft" eingestiegen. Aber am Ende ist es immer noch die gleiche Herausforderung: Mit Technik und gleichzeitig mit den verschiedensten Menschen zusammen zu arbeiten und ein gutes Ergebnis zu erzielen.

Zwölf Jahre sind eine lange Strecke. Sie haben nebenbei ja auch einen spannenden Beruf und bestimmt auch so im Leben genug zu tun. Was lässt Sie daran festhalten, beim THW weiter mitzumachen, Zeit und Aufwand zu investieren?

Ich persönlich habe das Gefühl, vom THW auch viel mitnehmen zu können. Zum Beispiel Wissen, das mir dann auch im Alltag nützlich ist. Oder mit Blick auf die Auslandseinsätze – dass man sich sehr spontan und kurzfristig in unterschiedliche Lagen hineinversetzen kann. Oder auch die Fremdsprachenkenntnisse: In internationalen Teams wird immer auf Englisch kommuniziert. Oft ist es auch sehr praktisch, wenn man auch noch ein paar andere Fremdsprachen kann. Diese Benefits lassen mich an meiner Tätigkeit für das THW festhalten.

Wenn Sie nicht im Einsatz sind: Wie oft trainieren Sie außerhalb der Einsätze? Was lernt man da?

Bei uns vor Ort finden natürlich regelmäßige Übungen statt. In Aachen haben wir das so geregelt, dass es etwa drei Termine pro Monat gibt. Meistens ein kompletter Samstag, an dem dann ein größeres Übungsszenario trainiert wird. Aber auch zwei Abendtermine, die unter der Woche stattfinden. Da bilden wir uns theoretisch und praktisch weiter und versuchen, am Ball zu bleiben. Es gibt ja immer mal wieder Neuerungen. Außerdem müssen die Übungen auch regelmäßig wiederholt werden, damit das Erlernte nicht vergessen geht.

Sie haben zahlreiche Einsätze im Inland hinter sich, bereits vier Mal waren Sie im Ausland aktiv. Gibt es einen Einsatz, an den Sie ganz besondere Erinnerungen haben?

Ganz besondere Erinnerungen habe ich tatsächlich an meinen ersten Auslandseinsatz in Guatemala in Folge des Ausbruchs des Vulkans Fuego. Dort hatten wir die Möglichkeit, ebenfalls im Rahmen eines EU-Einsatzes, eine Früh- und Vorwarneinrichtung zu installieren, die dafür sorgt, dass Vulkanausbrüche künftig frühzeitiger registriert und die Bevölkerung auch frühzeitiger gewarnt werden kann.

Wenn ein Anruf kommt und Sie zum Einsatz gerufen werden, muss es schnell gehen. Wie lässt sich das eigentlich mit einem regulären Berufsleben vereinbaren? Sie sind an einer Hochschule tätig, geben Seminare, haben Verpflichtungen.

Grundsätzlich gibt es in Deutschland ja ein Gesetz, das freiwillige Helfer im Katastrophenschutz von ihrer beruflichen Tätigkeit freistellt. Aber es stimmt schon: Das ist die Theorie. Praktisch sieht das bei mir so aus, dass ich glücklicherweise sehr gute Kollegen habe, denen ich dann auch kurzfristig einige meiner Aufgaben aufbürden kann und die mir dann vieles abnehmen. 
Aber das bleibt natürlich schwierig. Wenn ein Anruf kommt, muss ich immer als erstes prüfen, ob ich in der nächsten Zeit wichtige Termine habe. Das kommt vor – und dann kann ich auch nicht in den Einsatz gehen.

Wenn Sie von einem jungen Menschen gefragt werden würden: "Warum lohnt sich ein Engagement im THW?" – was würden Sie ihm sagen?

Beim THW mitzumachen ist eine wunderbare Möglichkeit, sehr viele und sehr verschiedene Menschen kennenzulernen – auch mal außerhalb seines üblichen Freundes- und Bekanntenkreises. Man kommt mit interessanten Leuten ins Gespräch, die man sonst gar nicht erst kennenlernen würde. Außerdem bietet das THW die Chance, Technik kennenzulernen, sich in die Technik reinzudenken. Und man kann mit Technik umgehen, die man privat oder auch beruflich sonst nie benutzen würde. Das ist schon etwas sehr Spannendes.

Achill Holzer ist eigentlich Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der RWTH Aachen und forscht dort über hydraulische Pumpen, Motoren und Ventile. Ende November wurde er aber – mal wieder – zum Katastrophenhelfer. Gemeinsam mit einem THW-Kollegen bildete er das erste TAS-Team. Zehn Tage unterstützten sie die Rettungsarbeiten vor Ort, bevor das Team ausgetauscht wurde und Achill Holzer wieder nach Deutschland zurückreisen konnte.