"Eltern haben einen bemerkenswerten Einsatz gezeigt"

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Interview mit Direktor des Bundesinstitus für Bevölkerungsforschung "Eltern haben einen bemerkenswerten Einsatz gezeigt"

Das Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (BiB) hat in einer umfangreichen Studie untersucht, wie Eltern die Herausforderungen der Corona-Pandemie meistern. Ein Gespräch mit Norbert Schneider, dem Direktor des BiB, über die Arbeit seines Instituts, die Aufgabenteilung zwischen Vätern und Müttern - und Improvisation im Familienalltag.

6 Min. Lesedauer

Zwei Kindern malen und basteln, während ihr Vater im Homeoffice arbeitet.

Durch die Corona-Pandemie mussten Familien ihren Alltag ganz neu organisieren.

Foto: Jennifer Braun

Herr Prof. Schneider, zu Hause zu arbeiten und gleichzeitig kleine Kinder zu betreuen oder mit den Älteren für die Schule zu lernen – für Millionen Eltern war das in der Corona-Pandemie über Wochen Alltag. Vor welche Herausforderungen hat der Lockdown Familien gestellt?

Norbert Schneider: Durch den Lockdown waren natürlich mehr oder weniger alle Menschen mit besonderen Herausforderungen konfrontiert. Eltern oder Familien waren in dreifacher Weise betroffen: Zu den einschneidenden Veränderungen, die viele in ihrem beruflichen Alltag erfuhren – Kurzarbeit, Homeoffice, besondere Belastungen – kam hinzu, dass sie sich durch die weitgehende Schließung von Schulen und Betreuungseinrichtungen praktisch aus dem Stand um die Beschulung oder Betreuung ihrer Kinder kümmern mussten. Diese neue Situation, das ist die dritte Herausforderung, erforderte bei vielen eine weitgehende Neugestaltung der bisherigen partnerschaftlichen Arbeitsteilung. Also die Muster, wer macht was und wann, die wurden aufgebrochen und mussten neu organisiert werden, was für viele nicht ganz einfach zu bewältigen war.

Wie haben Familien diese Situation gemeistert?

Schneider: Die meisten haben wirklich hohes Improvisationsvermögen gezeigt und einen bemerkenswerten Einsatz, um sowohl den Kindern als auch ihrem Arbeitgeber oder ihrer Berufstätigkeit gerecht zu werden – und sich selbst erst einmal hintangestellt. 

Wie die Eltern dies bewältig haben, wurde im Wesentlichen durch vier Faktoren beeinflusst: Erstens die berufliche Situation. Zweitens die partnerschaftliche Situation - wir können zum Beispiel feststellen, dass Alleinerziehende in extremer Weise belastet wurden, sehr viel mehr als Elternpaare. Drittens die familiäre Situation - hat man zwei, drei Kinder im Betreuungsalter ist die Wirkung noch sehr viel größer. Und ganz wesentlich als vierter Punkt die Wohnsituation. Eltern in beengten Wohnverhältnissen oder ohne Zugang zu einem Garten etwa waren sehr viel stärker belastet als Menschen in großzügigen Wohnverhältnissen.

Wie war die Arbeitsteilung zwischen Männern und Frauen?

Schneider: Die Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern hat sich verändert. Beispielsweise werden systemrelevante Berufe typischerweise von Frauen ausgeübt. Diese waren also selten im Homeoffice und im Zweifel mehr erwerbstätig als zuvor und dadurch war die Balance, die jedes Paar hat, infrage gestellt. 

Die Tendenz, die wir sehen können, ist: Männer und Frauen haben ihre Erwerbsarbeitsstunden reduziert, aber Männer stärker als Frauen. Bei Frauen waren es 0,8 Stunden pro Woche, bei Männern 2,4 Stunden. Gleichzeitig brachten beide Geschlechter mehr Zeit für die Familienarbeit auf – Frauen 1,3, Männer 2,3 Stunden. Allein wenn man sich diese vier Zahlen vorstellt, sieht man schon, dass es zu einer stärker egalitären Arbeitsteilung kam.

Welche Rolle spielte das Thema Kurzarbeit?

Schneider: Männern in Kurzarbeit ging es im Hinblick auf die Familienarbeit besonders gut. Die Werte gingen richtig stark nach oben – bei einer relativ geringen Zufriedenheit mit der beruflichen Situation. Die niedrigste Zufriedenheit zeigte sich bei Müttern, die wie zuvor bei ihrem Arbeitgeber am Arbeitsplatz arbeiten mussten. Die Spreizung ist relativ groß, die wir hier beobachten können. Und die anderen, also zum Beispiel wer im Homeoffice arbeiten konnte, die befinden sich dazwischen.

Wie stand es vor der Pandemie um die Nutzung von Homeoffice in Deutschland?

Schneider: Unsere Referenz ist 2018. Dort lag Deutschland im internationalen Vergleich im Mittelfeld. Das heißt: Fünf Prozent der Erwerbstätigen gaben an, dass sie mehr als die Hälfte ihrer Arbeitszeit im Homeoffice verbringen. Hinzu kommen sieben Prozent, bei denen dies zumindest hin und wieder der Fall war. Nach Corona sahen wir eine Vervier-, eigentlich sogar Verfünffachung des Anteils derer, die mindestens die Hälfte im Homeoffice waren: bezogen auf alle Erwerbstätigen 23 Prozent, bezogen auf Eltern minderjähriger Kinder 27 Prozent.

Prof. Dr. Norbert Schneider, Direktor des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung

Prof. Dr. Norbert Schneider ist Direktor des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung.

Foto: Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung

Wie verändert die Erfahrung dieser Zeit die Arbeit der Zukunft? 

Schneider: Nach Corona, wenn es irgendwann einmal vorbei sein wird, wird es an dieser Stelle keine Rückkehr zur Ausgangssituation geben. Wir gehen davon aus, dass es zu einer neuen Balance kommen wird zwischen An- und Abwesenheit vom Arbeitsplatz. Und damit sind auf der einen Seite eine ganze Menge Chancen verbunden - mehr Flexibilität für die Beschäftigten, Zeitgewinn, weil die Zeit fürs Pendeln sich reduziert.

Es bestehen auf der anderen Seite eine Reihe von Risiken. Eines ist die Entgrenzung von Privat- und Arbeitsleben. Damit verbunden kann auch der Impuls sein, mehr zu arbeiten als bei regulären und kontrollierten Zeiten im Büro. Und die Gefahr ist, dass sich diese Dynamik zu einer Art von Pflicht zu Homeoffice entwickelt. Homeoffice ist dann eine elegante Lösung, wenn es von beiden Seiten gewünscht wird.

Inzwischen haben Schulen und Kitas weitgehend wieder geöffnet, aber die Eindämmungsmaßnahmen  dauern an. Inwieweit sind die Erkenntnisse aus der Studie "Eltern in der Corona-Krise" auch für die nächsten Monate hilfreich?

Schneider: Klar ist aus unserer Sicht, dass man die Situation von Eltern stärker priorisieren muss. Wir müssen uns auf den Weg begeben, digitale Angebote, aber auch digitale Kompetenzen an den Schulen auszuweiten. Das umfasst eine bessere Ausstattung mit IT, aber auch zukunftsfähige pädagogische Lehrkonzepte an einer digitalen Schule. Daneben müssen wir langfristig die Eltern mit mehr Flexibilität an der Schnittstelle von Erwerbsarbeit und Familienarbeit ausstatten – mit dem Ziel, eine Verstetigung der Corona-bedingten Belastung von Eltern zu vermeiden.

Welche Themen beschäftigen das BiB derzeit noch – neben dem Coronavirus? 

Schneider: Uns beschäftigen die Themen, die den demografischen Wandel oder die demografische Entwicklung allgemein betreffen. Die haben wir in Corona-Zeiten auch nicht vernachlässigt. Ein Akzent liegt auf dem Thema Migration. Hier befassen wir uns mit dem Thema Flucht, zum Beispiel in einer Studie zur Situation von Menschen aus Syrien respektive Eritrea in Deutschland, aber auch mit der Aus- und Rückwanderung von Deutschen und dem Thema Binnenwanderung. Gerade begonnen haben wir ein großes Projekt, in dem es darum geht, mehr über die Frage zu lernen, warum entscheiden sich Menschen für Kinder oder eben nicht.

Sie beraten auch die Bundesregierung und die Bundesministerien. Wie erfüllen Sie diesen Auftrag?

Schneider: Wir beraten die Bundesregierung in vielfältiger Weise, wobei Grundlage die Exzellenz der Politikberatung ist, wie sie vom Wissenschaftsrat und von der Deutschen Forschungsgemeinschaft formuliert worden ist – unabhängig, auf der Grundlage neuester Erkenntnisse und Methoden, verständlich aufbereitet. Wir bearbeiten praktisch täglich Anfragen, die aus den Ressorts kommen, aus der Bundesverwaltung oder dem Parlament. Wir wirken bei Berichten der Bundesregierung und in Expertengremien mit, stellen speziell aufbereitete Materialien zusammen und organisieren Informationsveranstaltungen.

Noch einmal zurück zum Coronavirus. Die Pandemie dauert an, sicher auch die wissenschaftliche Auseinandersetzung damit. Welche Erkenntnisse erhoffen Sie sich?

Schneider: Bei den großen Studien, die laufen und die mehrfach ins Feld gehen, pflegen wir das Thema Corona ein. Wir fragen: Was macht Corona jetzt zum Beispiel im Hinblick auf Ihr Belastungserleben, Ihre Arbeitszufriedenheit oder Ihre Arbeitszeiten? So können wir die Situation der Befragten vor Corona, die wir ja kennen, mit der Situation während und später auch nach Corona 1:1 vergleichen.

Das Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung gehört zum Geschäftsbereich des Bundesinnenministeriums. Es wurde 1973 gegründet und hat seinen Sitz in Wiesbaden. Die Studie "Eltern während der Corona-Krise" untersucht die Auswirkungen der Pandemie auf Familien.