Geordnete Lösung für den Brexit

Regierungserklärung der Kanzlerin Geordnete Lösung für den Brexit

Die Bundesregierung setzt sich bis zur letzten Stunde für einen geordneten Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU ein. Das betonte Bundeskanzlerin Merkel kurz vor dem Europäischen Rat in Brüssel. Gleichzeitig rief sie die 27 EU-Staaten dazu auf, sich auf die Herausforderungen der Zukunft zu konzentrieren. Die Welt ordne sich gerade neu.

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Bundeskanzlerin Angela Merkel bei ihrer Regierungserklärung im Bundestag.

Die Kanzlerin forderte in ihrer Regierungserklärung dazu auf, für ein starkes Europa zu kämpfen.

Foto: Bundesregierung/Steins

Wie wird der Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU von statten gehen? Auch acht Tage vor dem formalen Austrittsdatum gebe es darauf noch keine Antwort, so Bundeskanzlerin Angela Merkel in ihrer Regierungserklärung im Deutschen Bundestag.

Am Vortag hatte die britische Premierministerin Theresa May bei der EU eine Verschiebung des Brexit-Austritts auf den 30. Juni 2019 beantragt. Die Staats- und Regierungschefs werden in Brüssel nun über das weitere Vorgehen beraten. "Diesem Wunsch können wir im Grundsatz entsprechen, wenn wir in der nächsten Woche ein positives Votum zu den Austrittsdokumenten im britischen Parlament bekommen würden", sagte Merkel.

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Regierungserklärung der Kanzlerin Geordneten Brexit gewähren

Allerdings müsse man beim Datum darauf achten, dass Ende Mai die Europawahlen stattfinden. "Das heißt die Zukunft und die Rechtmäßigkeit der Europawahlen muss berücksichtigt werden. Aber über eine kurze Verlängerung kann man dann sicherlich positiv reden." Wenn es allerdings zu keinem positiven Votum des britischen Parlaments komme, werde es möglicherweise ein weiteres Treffen vor dem offiziellen Austrittsdatum am 29. März 2019 geben.

Für eine geordnete Lösung

Die Bundeskanzlerin sprach sich erneut für eine geordnete Lösung aus. Das sei nicht nur im britischen Interesse, sondern auch im Interesse Deutschlands und der 27 Mitgliedstaaten.

Als zentrales Problem für eine Übereinkunft nannte Merkel erneut die Nordirland-Frage. Sie stellte sich hinter das zwischen der EU und Großbritannien ausgehandelte Dokument von Straßburg, das in diesem Punkt zusätzliche Zusicherungen an Großbritannien enthält.

"Tür steht weit offen"

Unabhängig vom Ausgang des Austritts strebe man weiterhin künftig gute und enge Beziehungen an, betonte Merkel. Das gelte für die Außen- und Sicherheitspolitik, für die innere Sicherheit und für den Bereich Wissenschaft und Forschung. Die Beziehungen würden zwar nicht so eng sein, wie bei einem Verbleib Großbritanniens in der EU. "Aber die Tür für eine enge Zusammenarbeit in Freundschaft und im gegenseitigen Nutzen steht von unserer Seite weit offen", betonte sie.

Multilateralismus hat Frieden und Wohlstand gebracht

Die Welt ordne sich gerade neu, und die Europäer müssten sich überlegen, wie
sie darauf reagieren wollten, sagte Merkel. Dabei sprach sich die Kanzlerin für den Multilateralismus aus, er habe eine Epoche des Wohlstands und des Friedens gebracht. Das solle in Europa, dessen Rolle weiter wachsen werde, so weitergemacht werden, "zum Gewinn aller".

Versprechen auf Grundlage eines Wertefundaments

Trotz aller Anfechtungen sei Europa ein "Hort der Demokratie", sagte Merkel. Hier würden Minderheiten vor Verfolgung geschützt. Innerhalb des rechtlichen Rahmens könne hier jeder "sagen, schreiben und glauben, was er für richtig hält", so die Kanzlerin. Auf dieser Wertegrundlage hat Europa den Menschen zwei Versprechen gemacht, die es zu halten gelte: Ein Wohlstandsversprechen und ein Sicherheitsversprechen.  

Wirtschaftskraft der EU gewachsen

Angesichts der weltweiten Dynamik sei es aber nicht selbstverständlich, dass man die Versprechen halten könne. Daher sei die Debatte über das Wohlstandsversprechen ein wichtiges Thema bei dem Europäischen Rat. Die Wirtschaftskraft der EU sei gewachsen in den vergangenen Jahren. Die Entwicklung gehe in die richtige Richtung, aber das reiche nicht aus, um mit der Weltspitze mitzuhalten. So sei etwa notwendig, alles zu tun, um die gemeinsame Währung zu festigen.

Die Kanzlerin dankte dabei ausdrücklich Finanzminister Olaf Scholz, der sich darum erfolgreich bemüht. Es gelte jetzt, die Kapitalmarktunion schnell zu vollenden. Um die Wettbewerbsfähigkeit weiter zu stärken sei man mit dem Eurozonenbudget weiter vorangekommen, an der Finanztransaktionssteuer werde weiter gearbeitet. 

Europäische Industrie ist der Schlüssel zu Arbeitsplätzen

Neben der Festigung der Währung gehe es im digitalen Zeitalter um die Schaffung neuer Arbeitsplätze. "Dafür ist die europäische Industrie der Schlüssel", so die Kanzlerin. Sie stehe für 80 Prozent der Exporte und 30 Millionen Arbeitsplätze in der Europäischen Union.

Auch wenn die industrielle Basis vom Mittelstand lebe, seien große Player notwendig, um Marktmacht zu erreichen. Deshalb müsse beim Europäischen Rat über Industriepolitik gesprochen werden. Deutschland und Frankreich haben dazu einen Vorschlag gemacht. Sinnvolle Projekte – wie zum Beispiel die Batteriezellenproduktion – müssten über nationale Grenzen hinweg begleitet werden. Eine solche Vernetzung sei auch bei der Chipproduktion und der künstlichen Intelligenz notwendig. 

China ein Partner, aber auch ein Wettbewerber

Darüber hinaus müssten die Handelsbeziehungen definiert werden. Bei den Gesprächen mit den Vereinigten Staaten habe man ein Interesse daran, dass Zölle abgebaut und nicht neue eingeführt werden. Auch wolle man erreichen, dass Firmen aus der EU in den USA bei Ausschreibungen ebenso zugelassen würden wie US-Firmen in Europa. Die Forderung nach einem gegenseitigen Marktzugang gelte noch mehr für China. Die Staats- und Regierungschefs wollen auf dem Europäischen Rat den EU-China-Gipfel am 9. April 2019 vorbereiten.

Die Volksrepublik sei auf der einen Seite ein strategischer Partner, aber auf der anderen Seite auch ein Wettbewerber. Man stehe mit China in einem Systemwettbewerb. "Wir setzen auf die freiheitlich geprägte soziale Marktwirtschaft, China setzt auf eine gelenkte Staatswirtschaft." Deshalb käme es drauf an, dass man als Europäische Union eine gemeinsame Position gegenüber den Partnern in der Welt vertrete – das gelte gegenüber jedem Land.

Versprechen: Sicherheit

Das zweite große Versprechen sei das Sicherheitsversprechen, sagte die Kanzlerin. "Die Einsicht, dass wir in Europa mehr Verantwortung für unsere eigene Sicherheit übernehmen müssen, teilen wir alle." Damit Europa zukünftig Antworten auf die neuen geopolitischen Herausforderungen geben könne, müsse man dafür die Voraussetzungen nach Innen und Außen schaffen.

Beim Thema Migration betonte die Kanzlerin, dass es erhebliche Fortschritte bei der europäischen Asylpolitik gebe wie zum Beispiel bei dem europäischen Ein-und Ausreiseregister, das bis 2020 funktionsfähig sein soll. Sie betonte den besseren Schutz der Außengrenzen und die neue Partnerschaft mit Afrika. "Längst habe man aber nicht alles erreicht"- das gehöre auch zur Wahrheit, so die Kanzlerin.

Merkel hob die die Möglichkeit hervor, dass die EU-Länder bei der Bekämpfung illegaler Migration und der Einführung regulärer Migration unterschiedliche Formen der Solidarität und Verantwortung leisten könnten. Es könne aber nicht sein, "dass einzelne Mitgliedstaaten erklären, dass sie sich an einer solidarischen Verteilung von Flüchtlingen nicht und gar nicht und überhaupt nicht beteiligen", sagte sie. "Es geht also um Prinzipien, es kann natürlich ansonsten unterschiedliche Gewichte geben."

Nach außen handlungsfähig sein

Bei der Handlungsfähigkeit nach Außen unterstrich die Bundeskanzlerin ausdrücklich die Zusammenarbeit mit der Nato und den Ausbau der ständig strukturierten Zusammenarbeit (Pesco). Besonders betone Merkel die deutsche Zusage an die Nato-Partner, bis 2024 die Verteidigungsausgaben auf 1,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) zu steigern. Das habe auch Auswirkungen auf die ständige strukturierte Zusammenarbeit. Auch diese Verpflichtung "erfüllt noch nicht die Erwartungen aller im Bündnis", sagte sie. "Aber dafür, dass wir diese Verpflichtung auch einhalten, dafür stehe ich und dafür steht die Bundesregierung."

Gute Partner sein

Gerade im Zusammenhang mi der Debatte um das Urheberrecht sowie bei dem Thema Rüstungsexporte mahnte die Bundeskanzlerin: Deutschland sei einer von mehreren Partnern in der EU, daher "müssen wir am Ende bereit sein, ein Stück weit auch von unseren Positionen abzugehen."

Europa stärken

Am Ende ihrer Rede gab die Kanzlerin ein starkes Bekenntnis zu Europa ab. Alles spräche dafür, dieses Europa zu stärken. 60 Jahre Freiheit, 60 Jahre Frieden und 60 Jahre Wohlstand seien damit verbunden.

Europa bedeute – bei allen Problemen – saubere Luft und gute Bildung für unsere Kinder. Europa biete die beste medizinische Versorgung auf der Welt, die höchsten Standards beim Verbraucherschutz und Datenschutz. Die Marktwirtschaft biete wirtschaftliche Entfaltung bei gleichzeitig sozialem Schutz. "Lohnt es sich für diese Europa weiter zu kämpfen? Ich sage ja!"