Kanzler beim Europäischen Rat
Der Europäische Rat in Brüssel stand erneut unter dem Eindruck des andauernden, brutalen Angriffskrieges Russlands – mit all den furchtbaren Folgen für die Menschen in der Ukraine. „Wir stehen zusammen, fest an der Seite der Ukraine“ – in der EU und in der NATO. Das machte Bundeskanzler Scholz nach dem Gipfel deutlich. Darüber hinaus haben die Staats- und Regierungschefs über drängende Fragen wie Migration, das Verhältnis zu China und die wirtschaftliche Souveränität Europas gesprochen.
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Kanzler Scholz in Brüssel: „Wir müssen in Europa unsere Verteidigungskapazitäten bündeln, die Leistungsfähigkeit unserer Verteidigungsindustrie steigern und deren Produktion beschleunigen.“
Foto: Bundesregierung/Bergmann
Vor Beginn des Europäischen Rates hatten sich die Staats- und Regierungschefinnen und -chefs ausführlich mit NATO-Generalsekretär Stoltenberg beraten. Dabei sei eines sehr deutlich geworden, so der Bundeskanzler: „Wir sind geeint und gestärkt aus den letzten 16 Monaten hervorgegangen, sowohl als Europäische Union als auch als NATO. Wir stehen europäisch und transatlantisch zusammen, und auch fest an der Seite der Ukraine.“
Starkes Signal der Geschlossenheit
Insofern gehe von diesem Europäischen Rat erneut ein sehr starkes Signal der Geschlossenheit aus – gerade auch mit Blick auf den NATO-Gipfel in Vilnius am 11. und 12. Juli. Um Europas Rolle im Nordatlantischen Bündnis weiter zu stärken sei für den Kanzler klar: „Wir müssen in Europa unsere Verteidigungskapazitäten bündeln, die Leistungsfähigkeit unserer Verteidigungsindustrie steigern und deren Produktion beschleunigen“. Das gelte in besonderem Maße für die Koordinierung der Munitionsproduktion. Denn die Lieferung von Munition sei für die Ukraine überlebenswichtig.
Dem per Video zugeschalteten ukrainischen Präsidenten Selensky wurde versichert, dass die EU gemeinsam mit den internationalen Partnern ihre humanitäre, finanzielle und auch militärische Hilfe fortsetzen werde. „Und zwar so lange, wie es notwendig ist“, betonte Scholz. Gleichzeitig habe man diskutiert, wie die Unterstützung langfristig sichergestellt werden könne. Dazu gehöre auch die Frage, wie die strafrechtliche Verfolgung der vielen furchtbaren Kriegsverbrechen geschehen könne, die von russischen Soldaten zum Beispiel in der Ukraine verübt worden seien.
Kontroverse Gespräche beim Thema Migration
Ein weiterer Schwerpunkt der Diskussion war das Thema Migration. Hier hatte sich der Rat der Justiz- und Innenminister bereits Anfang des Monats auf das wichtige Paket zur Gemeinsamen Asylpolitik geeinigt. Zu der EU-Asylreform gehört ein wirksamer Grenzschutz an den europäischen Außengrenzen mit einheitlichen Standards für Registrierungen und Zuständigkeiten, sowie ein praktikabler Solidaritätsmechanismus.
Teil der Gesamteinigung ist die Einführung verpflichtender Asylverfahren an der EU-Außengrenze. Um das derzeitige System auszugleichen, bei dem einige wenige Mitgliedstaaten, nämlich die an den Außengrenzen, für die große Mehrheit der Asylanträge zuständig sind, wird ein neuer Solidaritätsmechanismus vorgeschlagen. Die Mitgliedstaaten können Flüchtlinge aufnehmen, finanzielle Beiträge leisten oder alternativ Personal entsenden zum Aufbau von Kapazitäten. Die Mitgliedstaaten können nach eigenem Ermessen entscheiden, welche Art von Solidaritätsbeitrag sie leisten. Wenn sie keine Flüchtlinge aufnehmen, müssen sie eine Ausgleichszahlung zahlen.
Das sei aus Sicht des Kanzlers „ein großer Durchbruch und ein großer Erfolg für solidarische Zusammenarbeit im Umgang mit Fluchtmigration in Europa“. Es habe gezeigt, dass die Europäische Union auch in schwierigen Fragen, in denen viel zu diskutieren ist, handlungsfähig sei.
Das gehe nie ohne Kompromisse, so Scholz. Auch Deutschland hoffe in den anstehenden Verhandlungen mit dem Europäischen Parlament noch auf einige Verbesserungen. Zugleich käme es darauf an, diese Verhandlungen noch vor den Wahlen zum Europäischen Parlament im kommenden Jahr abzuschließen.
Die EU und Deutschland brauchen Migration
Für den Kanzler ist klar, dass die EU und Deutschland Migration bräuchten. Aber diese müsse geregelt sein. Klar sei auch, dass irreguläre Migration begrenzt und legale Migrationsangebote Hand in Hand gehen müssten. Dieses Prinzip sei in Deutschland gerade mit dem neuen Fachkräfteeinwanderungsgesetz beschlossen worden, „auf das wir sehr stolz sind“, so Scholz.
Der Bundeskanzler räumte auch ein, dass nicht alle Mitgliedstaaten das so sehen würden wie die große Mehrheit der Innenministerinnen und Innenminister oder auch der im Europäischen Rat versammelten Länder: „Es gehört dazu, dass das diskutiert wird. Das hat sich im Rat auch zugetragen.“
De-risking, nicht de-coupling
Der Europäische Rat hat sich auch mit den Beziehungen der EU zu China befasst. Dabei gehe es darum, einseitige strategische Abhängigkeiten zu reduzieren. Das werde vor allem die Unternehmen ein paar Jahre beschäftigen, so der Kanzler. Sie müssten ihre Lieferketten und Exportmärkte diversifizieren und Direktinvestitionen vielfältiger aufstellen. Anders ausgedrückt: Es geht um ein „de-risking“, aber nicht um ein „de-coupling“. Denn es bleibe eine wirtschaftliche Kooperation, die ohnehin notwendig sei, wenn es um Fragen des Klimaschutzes, der Ernährungssicherheit oder des Gesundheitsschutzes gehe.
Und natürlich gäbe es auch Fragen, auf die China und zum Beispiel die Europäische Union unterschiedlich blickten. Solche Fragen dürften in den Gesprächen nicht ausgeklammert werden, „etwa wenn es um Menschenrechte geht, oder dass wir in den Gesprächen auch immer klarstellen, dass wir eine Unterstützung Russlands in diesem Krieg zum Beispiel mit Waffen nicht akzeptieren können, und dass wir im Übrigen auch darauf hinwirken wollen, dass China Russland davon überzeugt, dass es mit dem furchtbaren Krieg gegen die Ukraine nicht mehr so weitermachen kann“, so Scholz.