Ein starkes, klares Signal an Russland

Ukraine-Krise Ein starkes, klares Signal an Russland

Die Bundesregierung fordert ein "substanzielles Paket an Maßnahmen" der EU gegen Russland und schließt auch einen umfassenden Lieferstopp für Rüstungsgüter nicht aus. Die stellvertretende Regierungssprecherin Wirtz betonte die Notwendigkeit, die entsprechenden Beratungen in Brüssel heute zum Abschluss zu bringen.

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Die Fahnen der EU-Mitgliedsstaaten

Die EU-Außenminister berieten am 22. Juli in Brüssel erweiterte Maßnahmen gegenüber Russland.

Foto: picture-alliance / dpa

Die Bundeskanzlerin ist sich mit den Präsidenten Barack Obama und François Hollande sowie den Premierministern David Cameron und Matteo Renzi einig über die "Bedeutung abgestimmter Sanktionen gegenüber Russland aufgrund der fortgesetzten Lieferung von Waffen und Ausrüstung sowie aufgrund der Infiltration von Kämpfern in die Ost-Ukraine." Das erklärte die stellvertretende Regierungssprecherin nach einer Telefonkonferenz der Regierungs-und Staatschefs.

In dem Telefonat stimmten sie auch darin überein, dass die Sanktionen dazu dienen sollten, Druck auf Russland auszuüben, die Ukraine nicht weiter zu destabilisieren und stattdessen einen diplomatischen Weg zur Lösung der Krise einzuschlagen.

Lage erfordert weitere Maßnahmen

"Die Bundesregierung bedauert, dass immer noch kein freier, ungehinderter und sicherer Zugang für internationale Experten zur Absturzstelle von MH-17 sichergestellt ist. Nach wie vor geht es darum, vor Ort die Leichen zu bergen, Hab und Gut der Opfer zu sichern und das Unglück umfassend aufzuklären", hatte Wirtz zuvor in der Regierungspressekonferenz festgestellt.

Deutschland unterstütze die entsprechenden Bemühungen insbesondere der Niederlande und Australiens "in jeder Hinsicht", so die Sprecherin. Durch den Abschuss der Passagiermaschine sei "eine völlig neue Lage" eingetreten, die weitergehende Maßnahmen erforderlich mache.

Wirtz wies ferner darauf hin, dass der Kreml "weiterhin wenig Interesse an einer Aufklärung" zu haben scheine und seinen Einfluss auf die Separatisten nicht geltend mache. Ebenso hielten die Berichte über den Zustrom von russischen Waffen in die Ostukraine über die von Separatisten kontrollierten Grenzabschnitte weiter an. "Auch hier steht Moskau weiter in der Pflicht, dies zu unterbinden", betonte Wirtz.

Merkel zu Sondergipfel bereit

Man müsse daher weitere Maßnahmen gegen Russland ergreifen: "Hier liegen Vorschläge der Europäischen Kommission vor, die sich auf vier Bereiche beziehen", so Wirtz. Die Bundesregierung strebe ein "substanzielles sektor-spezifisches Paket von Maßnahmen" an. "Nur mit einem solchen substanziellen Paket kann die Bundesregierung beziehungsweise die EU ein starkes, klares Signal an Russland senden", begründete die Regierungssprecherin.

Auf dem Tisch liegen Vorschläge zur Beschränkung des Kapitalmarktzugangs und in den Bereichen Rüstungsgüter, Dual-use-Güter und sensitive Technologien - also auch im Energiesektor. Bundesregierung und EU seien entschlossen, die Beratungen am Dienstag abzuschließen. Es gebe laut Wirtz "die theoretische Möglichkeit", dass es am Dienstag eine endgültige Entscheidung in Brüssel gebe.

Wäre dies nicht der Fall, seien die Staats- und Regierungschefs auch bereit, sich noch einmal zu einem Gipfel zusammenzufinden. "Falls erforderlich, wird die Bundeskanzlerin zu einem Europäischen Rat nach Brüssel reisen", sagte Wirtz.

Die Bundesregierung unterstützt nachdrücklich die Beschlüsse des Treffens der EU-Außenminister . In den Schlussfolgerungen des Rates ist vorgesehen: Wenn Russland nicht unmittelbar und vollständig in den bekannten Punkten kooperiert, die sowohl die Gesamtentwicklung in der Ostukraine als auch die konkrete Aufarbeitung des Flugzeugabsturzes betreffen, wird gemäß den vorherigen Weichenstellungen des Europäischen Rates "ein substanzielles Sanktionspaket" zur Anwendung kommen.

Die Bundesregierung liefere seit dem Frühjahr keine Waffensysteme mehr nach Russland. Die Auslieferung eines Gefechtsübungszentrums sei gestoppt worden. "Für die Bundesregierung ist es denkbar, einen solchen Lieferungsstopp auch auf Altverträge zu beziehen", stellte die Regierungssprecherin klar. Hierüber sei die Bundesregierung mit den europäischen Partnern noch im Gespräch.

Steinmeier: Sanktionen wirken schon

Bereits am Donnerstag hatte der Ausschuss der Ständigen Vertreter der EU-Mitgliedsstaaten eine erste Ausweitung der Sanktionen gegen Russland beschlossen. Diese trat am Folgetag in Kraft, als die Sanktionsliste mit Namen von 15 Einzelpersonen sowie 18 Unternehmen und Organisationen veröffentlicht wurde. Am Freitag wurden dann umfassende Wirtschaftssanktionen beschlossen, für die die Europäische Kommission Vorschläge ausgearbeitet hat.

Der Ausschuss der Ständigen Vertreter (AStV) ist die mittlere Funktionsebene des Europäischen Rates. Er setzt sich aus Vertretern der Mitgliedstaaten zusammen, die ihre jeweiligen Länder im Rang von Botschaftern bei der EU repräsentieren. Die Aufgabe des AStV ist es, die Beratungen des Europäischen Rates vorzubereiten.

Bundesaußenminister Steinmeier verteidigte die bereits gewählten Sanktionsinstrumente gegen Kritik. Werfe man einen Blick auf die nüchternen Zahlen, sei erkennbar, "dass noch bevor Sanktionen ausgesprochen worden sind gegenüber Russland, Russland rund 100 Milliarden Dollar verloren hat. Warum? Weil unsichere Investitionsbedingungen im Lande herrschen."

Mit Blick auf die weitere Vorgehensweise betonte Steinmeier den Vorrang der Diplomatie. Wenn man das Mittel der militärischen Gegenwehr aus dem "Instrumentenkasten" ausschließe, "dann sind es eben politische und diplomatische Mittel, und die sollten wir nicht diskreditieren." Das sei "ein wertvolles Gut, mit dem wir auch operieren können", betonte der Minister.

Waffenstillstand bleibt oberstes Ziel

Zentrales Ziel mit Blick auf die Ukraine bleibe es laut Regierungssprecherin Wirtz, einen beiderseitigen Waffenstillstand zu vereinbaren. "Zu diesem Zweck versucht die Kontaktgruppe bestehend aus Vertretern der OSZE, Russlands und der Ukraine ein Treffen mit den Separatisten zustande zu bringen", so Wirtz. Mehrere Gespräche per Videokonferenz habe es bereits gegeben.

"Im Ergebnis geht es darum, den Friedensplan von Präsident Poroschenko umzusetzen, damit die Ukraine als stabile und friedliche Demokratie in voller Souveränität ihre eigenen Entscheidungen treffen kann", bekräftigte die Sprecherin.

EU-Maßnahmen gegenüber Russland:
Am 17. März setzt der Europäische Rat insgesamt 21 Personen auf eine Sanktionsliste ("Schwarze Liste").
Ein Grundsatzbeschluss des EU-Gipfels vom 16. Juli dient den Außenministern als Rahmen für konkretere Entscheidungen.
Am 22. Juli beraten die EU-Außenminister in Brüssel über eine Verschärfung der Sanktionen gegen Russland. Die Ausarbeitung übernimmt der AStV.
Am 24. Juli beschließt der AStV, die bestehende "Schwarze Liste" auf hochrangige Mitarbeiter der Geheimdienste und Sicherheitsbehörden auszuweiten. Am Folgetag wird im EU-Amtsblatt eine Sanktionsliste mit den Namen von 15 Einzelpersonen sowie 18 Unternehmen und Organisationen veröffentlicht. Die Maßnahmen treten hierdurch unverzüglich in Kraft.
Am 25. Juli einigen sich die Vertreter der 28 EU-Regierungen im AStV zudem auf weitere Wirtschaftssanktionen. Sie erteilten der Kommission den Auftrag, bis zum 28. Juli Verordnungstexte für die Maßnahmen vorzulegen.