Dresden: "Gruppe der 20" entsteht

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8. Oktober 1989 - Auf dem Weg zur Deutschen Einheit Dresden: "Gruppe der 20" entsteht

8. Oktober 1989: Nach Tagen der Gewalt wendet sich in Dresden das Blatt. Demonstranten wählen die "Gruppe der 20" als Sprecher aus ihrer Menge. Nach einer Aussprache legt die Polizei ihre Schutzschilde nieder – der erste Schritt zum friedlichen Dialog.

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Mitglieder der oppositionellen 'Gruppe der 20' finden sich am 30.10.1989 im Rathaus von Dresden zum dritten Rathausgespräch mit Dresdens Oberbürgermeister Wolfgang Berghofer (vorn) ein.

Gruppe der 20 entsteht

Foto: picture-alliance/ZB/Hässler

Prügel gegen Demonstranten

Polizisten marschieren am Hauptbahnhof, als ein Uniformierter eine Passantin bei der Schulter fasst: "Gehen Sie nach Hause!". Bis heute erinnert sich Friederike Beier an seinen bittenden Blick: Er ist der Freund ihres Sohnes.

Seit die Züge der Prager Botschaftsflüchtlinge durch Dresden fahren, knüppelt die Polizei den Protest der Ausreisewilligen nieder. Daneben demonstrieren die Dresdner für Freiheit, darunter Friederike Beiers Freunde. Sie gehen stets gemeinsam. Und gemeinsam suchen sie die Polizeiwachen ab, wenn einer nicht nach Hause kommt: Dieser Tage "verschwinden" Hunderte von der Straße. Prügel und Stunden qualvollen Stehens sind gemeinsame Erinnerung vieler Dresdner.

Applaus für die Demokratie

Doch die Menge lässt sich nicht einschüchtern: 20.000 demonstrieren am 8. Oktober. Viele werden auf der Prager Straße eingekesselt. Aus der Menge wenden sich zwei Seelsorger, Frank Richter und Andreas Leuschner, an den Einsatzleiter der Polizei: Keine Gewalt. Man könne miteinander reden.

Per Beifall wählt die Menge 23 Männer und Frauen aus ihrer Mitte: die "Gruppe der 20": Handwerker, Studenten, Krankenschwestern.

Die Gruppe der 20 habe damals einen guten Querschnitt der Bevölkerung dargestellt, erinnert sich Herbert Wagner, Mitorganisator der Montagsdemonstrationen in Dresden.

Die Gruppe wird mit dem Oberbürgermeister sprechen – für alle. Vor Ort sammeln sie erste Forderungen: Reise-, Presse-, Wahl- und Demonstrationsfreiheit, Legalisierung des "Neuen Forums", offener und gewaltfreier Dialog, Freilassung der politischen Gefangenen.

Der Oberbürgermeister lässt sich zwar auf das Gespräch ein, akzeptiert aber nicht die Forderung, dass die Ergebnisse öffentlich auf der Prager Straße mitgeteilt werden dürfen. Das könne nur in kirchlichen Räumen passieren.

Am nächsten Tag geht Friederike Beier mit bewegtem Herzen über die Augustusbrücke. Die Gruppe der 20 hat verhandelt. In vier Kirchen konnte sie vor Zehntausenden von Zuhörern mitteilen: Es wird nicht geschossen! "Dieser Tag war für mich der Höhepunkt", sagt Beier. "Ich war stolz, eine Dresdnerin zu sein."

Eine Mark für die Freiheit

Die Gruppe ist Mittler zwischen Volk und Staat, doch offizielle Anerkennung bleibt ihr versagt. Trotz ihrer Wahl wollen sie ihre Legitimation schwarz auf weiß. Unterschriften-Listen müssten genehmigt werden, also kommt ihnen eine Idee: Als Zeichen seines Einverständnisses soll jeder Bürger eine Mark auf ein bestimmtes Bankkonto überweisen. Zeitweise sperrt der Generalstaatsanwalt das Konto; auch Sammlungen müssen genehmigt sein. Dennoch ergeben die Einzahlungen ein klares Mandat: Mehr als 100.000 Mark für die Gruppe der 20. Das genügt, um Büromaterial zu kaufen, den Rest bekommt ein Altenheim.

Am 30. Oktober wird die Gruppe der 20 im Rathaus anerkannt. Sie erhält das Recht zu demonstrieren, bildet Arbeitskreise für verschiedenste Belange. Später folgen andere Städte dem "Dresdner Modell".

Friederike Beier lebt bis heute in ihrem alten Haus. DDR-Baubehörden hätten das halbe Viertel abgerissen, wäre ihnen nicht die Revolution zuvorgekommen.