Darauf schwören Kanzlerin und Kabinett

Die Urschrift des Grundgesetzes und ihre Faksimiles Darauf schwören Kanzlerin und Kabinett

Sorgsam rückt ein Mann mit weißen Stoffhandschuhen fünf Bücher in Position. In einem Raum im Reichstag in Berlin wird ein seltenes Familienporträt vorbereitet: Die 70 Jahre alte Urschrift des Grundgesetzes neben hochwertigen Kopien, den Faksimiles.

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Vier Faksimiles auf einem Stapel neben der Urschrift

Seltenes Familienbild: Vier Faksimiles des Grundgesetzes und die Urschrift.

Foto: Burkhard Peter

Beim Betrachten von Familienfotos fallen einem oft Ähnlichkeiten zwischen Eltern und Kindern auf. Doch jedes Kind hat Merkmale, durch die es sich von seinen Geschwistern ganz klar unterscheidet. Ähnlich ist es bei den Faksimiles des Grundgesetzes.

Die ersten Faksimiles

1948/49 hatte der Parlamentarische Rat in monatelangen Diskussionen und mit viel Arbeit am Detail das Grundgesetz verfasst. Am 8. Mai 1949 wurde es vom Parlamentarischen Rat verabschiedet, 15 Tage später unterzeichnet. Die Unterschriften von Mitgliedern des Parlametarischen Rates, der Vertreter der Bundesländer und Berlins, folgten auf den Gesetzestext. Nun lag die Urschrift des Grundgesetzes vor. Büttenpapier, das Geschichte atmet.

Konrad Adenauer, Präsident des Parlamentarischen Rates, entschied, Faksimiles des Grundgesetzes anfertigen zu lassen. Wie bei der Urschrift erhielt die Bonner Druckerei Rudolf Stodieck den Auftrag.

Die ersten Faksimiles gingen ab August 1949 an Mitglieder des Parlamentarischen Rates, an die Vertreter der Länder, Berlins und der Alliierten, den Bundestag und das Kanzleramt. Die Herausgabe wurde "streng kontrolliert", so Michael Feldkamp. Der Historiker arbeitet im Bundestag und gilt als Experte für das Grundgesetz und dessen Faksimiles.

Sogar Tintenflecken übernommen

Im Gegensatz zur in bräunlichem Pergament gebundenen Urschrift haben die ersten Faksimiles einen roten Einband aus Leder oder Kunstleder. Eine bewusste Abgrenzung "vielleicht aus Respekt vor der Urschrift", sagt Feldkamp.

Vom Grundgesetz wurden weitere hochwertige Kopien publiziert. Zum Beispiel überreichte 1969 Bundestagspräsident Kai-Uwe von Hassel den Abgeordneten, die seit 20 Jahren Mitglieder des Bundestages waren, neu angefertigte Faksimiles. Von der Ausgabe 1974 erhielten die Mitglieder der 6. Bundesversammlung nummerierte Exemplare. 1999 wurde ein Sammelband mit Reproduktionen der Verfassungsoriginale von 1849 bis 1949 publiziert.

Die Faksimiles sind optisch unterschiedlich nah an der Urschrift. Die letzte Variante wurde vor zehn Jahren anlässlich des 60-jährigen Jubiläums gedruckt und sieht ihr sehr ähnlich. Nicht nur der Text, sogar Fingerabdrücke und Tintenflecken der Unterschriften im Original-Grundgesetz wurden übernommen. Die Seiten sind gelblich, wie bei einem alten Buch.

Sicher im Bundestag verwahrt

Faksimiles sollen "etwas von der Aura und dem Nimbus des Originals vermitteln", so Feldkamp. Die Urschrift wird sicher im Bundestag verwahrt. Die Öffentlichkeit bekommt sie nur beim Amtseid der Bundeskanzlerin und des Bundespräsidenten zu Gesicht.

Wenn Ministerinnen und Minister der Bundesregierung ihren Amtseid ablegen, hält der Bundestagspräsident ein Faksimile in der Hand. Die Faksimiles sind auch in Ausstellungen auf Fotos und in Filmaufnahmen zu sehen.

Vereidigung mit altem Grundgesetz

In einer Glasvitrine im Reichstagsgebäude wird ein Faksimile von 1949 gezeigt. Es stammt aus dem Nachlass Anton Pfeiffers, eines Mitglieds des Parlamentarischen Rates. Heute liegt es in Blickweite der Bundestagsabgeordneten, wenn sie in die Sitzungen im Plenarsaal gehen. Aufgeschlagen ist eine Seite mit der Unterschrift Konrad Adenauers.

In den letzten 70 Jahren hat der Bundestag das Grundgesetz mehrfach geändert. Diese Änderungen werden aber weder in die Urschrift noch in die Faksimiles eingefügt. Die Bundeskanzlerin und ihr Kabinett lesen ihren Amtseid genau genommen aus einer veralteten Fassung des Grundgesetzes ab. Aus Sicht von Michael Feldkamp gibt es dafür aber gute Gründe: "Auf die ursprüngliche Version des Grundgesetzes zurückzugreifen, bedeutet, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Die Eidesformel ist enthalten. Es ist mittlerweile eine Tradition".