Die Familie wird durch die Corona-Pandemie noch wichtiger

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Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung Die Familie wird durch die Corona-Pandemie noch wichtiger

Die Zufriedenheit von Familien ist von elementarer Bedeutung für die gesamte Gesellschaft. Darauf weist die Direktorin des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung, Prof. C. Katharina Spieß hin. Besonders wichtig sei eine funktionierende und verlässliche Kinderbetreuung. Ziel müsse es sein, die Familien weiter zu stärken.

5 Min. Lesedauer

Foto zeigt Katharina Spieß

Familien- und Bildungsökonomin Prof. C. Katharina Spieß, Direktorin am Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung.

Foto: BIB/Peter-Paul Weiler

Schon seit knapp zwei Jahren leben wir mit der Pandemie. Liegen die Nerven blank oder haben sich die Familien mit dieser Ausnahmesituation mittlerweile arrangiert?

Prof. Spieß:
Die Pandemie stellt für die Familien in der Tat eine große Herausforderung dar. Repräsentative Studien belegen, dass im vergangenen Jahr im ersten Lockdown die Zufriedenheit von Familien mit dem Leben im Allgemeinen und mit Blick auf die Kinderbetreuung signifikant abgenommen hat. Neuere Daten vom Oktober 2021 zeigen uns jedoch interessanterweise, dass die Zufriedenheit der Eltern wieder angestiegen ist. Nach unseren Erkenntnissen hat dies mit der Wiederöffnung von Kitas und Schulen zu tun. Für das Wohlbefinden von Familien ist es wichtig, dass ihnen diese Bildungs- und Betreuungsinfrastruktur wieder zur Verfügung steht.

Haben denn alle Familien gleichermaßen mit den Pandemie-Auswirkungen zu kämpfen, oder stellen Sie bei Ihren Forschungen Unterschiede fest? 

Prof. Spieß: Unsere Studien zeigen, dass Familien durchaus in sehr unterschiedlichem Ausmaß von der Pandemie betroffen sind. Und das spiegelt sich auch in ihrem Wohlbefinden. So ist die Zufriedenheit mit dem Leben im Allgemeinen sehr viel niedriger bei Familien mit geringem Einkommen, bei Familien mit Kita-Kindern und tendenziell auch bei solchen mit Grundschulkindern im Vergleich zu solchen mit älteren Kindern. Mütter haben zudem mehr mit den Auswirkungen der Pandemie zu kämpfen als Väter. Ein wichtiger Befund ist aber auch, dass die Zufriedenheit von den stark beeinträchtigten Gruppen vergleichsweise stark zugenommen hat. Dementsprechend hat sich die Zufriedenheit gerade bei Familien mit kleinen Kindern und niedrigem Bildungsniveau von April bis Oktober 2021 deutlich erhöht.

Beruf und Familie miteinander zu vereinbaren erfordert von Eltern gerade in Pandemie-Zeiten ein Höchstmaß an Flexibilität. Welche Rolle spielt die Organisation der Kinderbetreuung für das Wohlbefinden von Familien?  

Prof. Spieß: Eine funktionierende und verlässliche Kinderbetreuung ist sehr wichtig für die Zufriedenheit von Familien. Untersuchungen bereits aus der Zeit vor der Pandemie machen deutlich, wie wichtig der Ausbau von Kita-Plätzen und die Ganztagsbetreuung in Schulen für das Wohlbefinden von Eltern ist. Der zeitweilige pandemiebedingte Wegfall oder auch die Einschränkung dieser Angebote hat viele Familien vor enorme Probleme gestellt.

Umso mehr sollte die Politik an dem Ausbau von Bildungs- und Betreuungsangeboten und an ihrer Qualität, insbesondere im U3-Bereich und an Schulen, festhalten und diesen weiter vorantreiben. Die Bundesregierung hat hier schon sehr viel getan, beispielsweise mit der Einführung eines Rechtsanspruchs auf den Ganztag für Grundschulkinder. Jetzt gilt es, bei den Anstrengungen nicht nachzulassen. Das betrifft die Anzahl von Betreuungsplätzen und den zeitlichen Umfang, aber insbesondere die weitere Erhöhung der Qualität der Bildung und Betreuung in diesen Einrichtungen.

Die qualitative Dimension ist entscheidend für den Bildungsweg der Kinder. Denken Sie beispielsweise an Kinder aus Familien, die zuhause kein Deutsch sprechen. Für sie ist die Kita auch ein wichtiger Ort zum Erlernen der Sprache. In der Pandemie ist dieser teilweise weggefallen. Aber auch ein strukturierter Tagesablauf in den Einrichtungen oder eine gute Lernbegleitung sind zentrale Ansatzpunkte einer guten Bildungs- und Betreuungsqualität.  
 
Wie hat sich die Pandemie konkret auf das Miteinander in den Familien ausgewirkt?

Prof. Spieß: Die Kernfamilie hat in den letzten Monaten eine Renaissance erlebt, wie wir es uns vor der Pandemie kaum vorstellen konnten – und zwar positiv als auch negativ. Insgesamt ist das Bild sehr ambivalent.

Einerseits hat die Pandemie gezeigt, Familie kann ein Ort des Zusammenhalts sein, wo man sich gerade zuletzt sehr viel miteinander auseinandergesetzt hat, wo man mehr Zeit als vor der Pandemie zusammen verbracht hat. Dies sind vielfach sehr positiv empfundene Erfahrungen.

Aber es gibt es auch Familien, wo in der Pandemie psychische Belastungen und im Extremfall auch Gewalt zugenommen haben. Depressive Symptome gibt es insbesondere bei Jugendlichen vermehrt. Vielfach haben wir hierzu noch keine abschließenden Befunde. Viele dieser Familien leben auf engstem Raum zusammen und haben zudem wirtschaftliche Nöte. Corona hat wie in einem Brennglas diese Probleme offengelegt – Probleme, die es schon vorher gab, aber die vielfach durch Corona noch verstärkt wurden.  

Hat sich denn durch die Erfahrungen der vergangenen Monate das Rollenbild in den Familien gewandelt?

Prof. Spieß: In der Pandemie können wir tatsächlich bei manchen, allerdings keinesfalls allen Paaren eine sogenannte „Re-Traditionalisierung“ von Rollenbildern beobachten, gerade mit Blick auf Kinderbetreuung und Hausarbeit. Empirisch belegt ist erneut eine Zweiteilung bei den Befunden: Bei den Familien, die sich diese Aufgaben schon vorher egalitär - also zu gleichen Teilen - aufgeteilt haben, ist dies auch in der Pandemie so geblieben. Anders bei den Familien, in denen die Mutter ohnehin schon immer etwas mehr Zeit in Kinderbetreuung und Hauarbeit investiert hat: Hier hat sich die Aufgabenverteilung noch schiefer zu Lasten der Mütter verschoben.

Ein Blick nach vorne: Sind Familien durch die Pandemie-Erfahrungen für mögliche künftige Belastungen widerstandsfähiger geworden?      

Prof. Spieß: Für uns als Familienforscher wird es spannend festzustellen, ob sich die Resilienz tatsächlich erhöht hat und wenn ja für welche Gruppen. Wir wissen, dass Menschen, die ohnehin resilienter sind, besser durch die Pandemie durchkommen. Aber inwiefern die Pandemie Menschen tatsächlich resilienter als vorher macht, das muss untersucht werden.

Mit Blick auf die gesamtgesellschaftliche Ebene habe ich die große Hoffnung, dass die Corona-Pandemie deutlich gemacht hat, wie elementar das familiäre Zusammenleben für eine Gesellschaft ist. Familie ist ein Akteur, von dem enorm viel abhängt. Insgesamt ist es entscheidend, dass künftig die Bedeutung von Familien und ihr Wohlbefinden noch mehr in den Vordergrund gestellt wird.

Das gilt für sämtliche Politikfelder, aber beispielsweise auch für eine gute Bildungs- und Betreuungsqualität oder für flexible Arbeitszeitmodelle. Homeoffice ist für viele Eltern eine große Chance, dies sollte bei künftigen Arbeitszeitregelungen stärker berücksichtigt werden. Aber auch die Gefahren, die das Homeoffice mit sich bringt und die bekannt sind, gilt es in entsprechenden Regelungen zu berücksichtigen. Insgesamt kommt es darauf an, die Zufriedenheit der einzelnen Familien und ihren Mitgliedern zu stärken. Davon profitiert unsere gesamte Gesellschaft, und zwar kurz- bis langfristig.      

Die Familien- und Bildungsökonomin Prof. C. Katharina Spieß ist seit Oktober 2021 Direktorin des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung (BiB) in Wiesbaden und Berlin, das zum Geschäftsbereich des Bundesinnenministeriums gehört. Die inhaltlichen Schwerpunkte der 55-Jährigen liegen im Bereich der Bildungs- und Familienforschung sowie weiteren Feldern der empirisch ausgerichteten Bevölkerungsforschung.