Statement des Bundeskanzlers nach informellem Europäischem Rat
Die Verteidigungsfähigkeit stand im Mittelpunkt der informellen Tagung des Europäischen Rates in Brüssel. In den Beziehungen zu den USA setze die EU auf Kooperation, habe aber alle Möglichkeiten, ihre Interessen durchzusetzen, so Bundeskanzler Olaf Scholz im Anschluss.
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- Mitschrift Pressekonferenz
- Montag, 3. Februar 2025

Nach dem informellen Europäischen Rat in Brüssel berichtete Kanzler Scholz von langen und intensiven Beratungen über viele Fragen, die die EU betreffen.
Foto: Bundesregierung/Guido Bergmann
Lesen Sie hier die Mitschrift des Statements:
Bundeskanzler Olaf Scholz:
Guten Abend! – Wir haben heute sehr intensiv, sehr lange beraten über viele Fragen, die die Europäische Union und die weitere Zukunft unserer Arbeit, die wir in sehr herausfordernden Zeiten zu leisten haben, betreffen. Deshalb haben wir auch drei Dinge zuallererst besprochen.
Das erste Thema war die Frage: Wie gehen wir im Hinblick auf Verteidigung und Sicherheit vor? Wir müssen mehr dafür tun; das ist eine große Aufgabe, die wir haben. Deshalb war es auch ein zentrales Thema, wie wir unsere Politik diesbezüglich gemeinsam organisieren. Ich plädiere dafür, dass jetzt alle Staaten Europas zwei Prozent ihrer Wirtschaftsleistung für Verteidigung ausgeben und dass wir gleichzeitig alles tun, um die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass man eine starke europäische Verteidigungsindustrie hat. Wir stellen fest: Viele Dinge funktionieren heute nicht. Es gibt keine großen Programme, die alle gemeinsam machen. Wir sehen eine große Aufsplitterung unter vielen, vielen unterschiedlichen Rüstungsprojekten, ganz anders als in den USA. Das muss sich ändern, und deshalb müssen wir auch unser Vorgehen verändern im Hinblick auf die Fragen, wie eingekauft wird, wie wir konkrete technische Entwicklungen auf den Weg bringen und wie wir auch große Serien herstellbar machen, die dafür notwendig sind, dass wir auch bezahlbare Waffen herstellen.
Ein zweites großes Thema ist natürlich die Frage gewesen, wie wir uns mit den USA in der nächsten Zeit gemeinsam aufstellen wollen. Ein großes Thema ist dabei der Handel; das ist kein Wunder. Deshalb ist es erst einmal wichtig, dass sich hier alle einig sind. Wir sind stark als Europäische Union, wir haben alle Möglichkeiten, dafür zu sorgen, dass wir unsere Interessen selber verfolgen können. Das ist auch eine Botschaft an die USA, die gleichzeitig verbunden ist mit einer ausgestreckten Hand, nämlich, dass wir gerne miteinander kooperieren wollen. Auch das ist ein zentrales Thema.
Europa ist für uns insgesamt das große Projekt, das auch im wichtigsten nationalen Interesse Deutschlands liegt. Deshalb sind solche Fragen, die uns alle herausfordern, wie Zuwanderung und irreguläre Migration, ganz zentral. Ich glaube, dass es ein großer Fortschritt ist, den wir gerade in Europa erreicht haben, dass im nächsten Jahr neue Regeln gelten: mehr Verantwortlichkeit an den Außengrenzen, Verfahren, die alle an den Außengrenzen durchgeführt werden, Registrierung aller Flüchtlinge, ein solidarisches Management der Aufnahme von Flüchtlingen und natürlich auch – was uns in Deutschland sehr wichtig ist – die bessere Möglichkeit, diejenigen, die ihr Verfahren in einem anderen Land betreiben müssen, auch zurückzuführen. Das sind alles erreichte Punkte, die jetzt europäisches Recht sind und die Deutschland auch umgesetzt und durchgesetzt hat. Deshalb ist es sehr bedenklich, wenn in dieser Zeit der Oppositionsführer zum Beispiel vorschlägt, europäisches Recht zu brechen und sich nicht an das zu halten. Wie sollen wir dann denn darauf bestehen, dass alle anderen sich an diese neuen Regeln halten, die wir gerade durchgesetzt haben?
Ich glaube also, dass wir jetzt in einem ganz entscheidenden Moment sind. Deshalb ist es auch sehr wichtig, dass die Opposition möglich macht, dass wir die Gesetze, die im Deutschen Bundestag zur Beratung anstehen, noch vor der Bundestagswahl beschließen und dass wir insbesondere die europäischen Regeln umsetzen, die die irreguläre Migration zurückdrängen. Ich finde es sehr bedenklich, dass die CDU die Gesetze zur Reduzierung der irregulären Migration, die Gesetze, die notwendig sind, damit weniger Flüchtlinge nach Deutschland kommen, die hier in Deutschland nicht bleiben können, behindert, genauso wie die Gesetze, die für die innere Sicherheit wichtig sind, also das Bundespolizeigesetz und all das, was wir an neuen Kompetenzen für unsere Sicherheitsbehörden brauchen. Das sind alles Themen, die in Deutschland und in Europa wichtig sind und die wir heute besprochen haben.
Vielleicht noch eine Bemerkung zum Schluss: Es war für mich sehr berührend, dass ich heute an einem Treffen teilgenommen habe, bei dem zum ersten Mal wieder ein britischer Premierminister im Europäischen Rat dabei war. Gestern war ich in Chequers in Großbritannien und habe dort mit dem Premierminister gesprochen. Aber trotzdem sage ich: Es ist nach der langen Zeit schon gut, dass wir jetzt unsere Politik miteinander abstimmen. Es war eine große Führungsleistung des britischen Premierministers Keir Starmer, dass er heute gekommen ist. Wir alle haben uns wirklich sehr gefreut.
Frage: Herr Bundeskanzler, was ist nach den Gesprächen heute aus Ihrer Sicht der kleinste gemeinsame Nenner der EU-Staaten beim Thema gemeinsamer Rüstungsfinanzierung?
Können Sie sagen, wie viele Staaten sich nach Ihrem Eindruck eine schuldenfinanzierte Finanzierung mit … (ohne Mikrofon, akustisch unverständlich) vorstellen könnten?
Bundeskanzler Olaf Scholz: Es ist schon sehr offensichtlich, dass die meisten Staaten darüber nachdenken, wie sie die große Aufgabe schultern können, dass wir mehr für Verteidigung ausgeben müssen. Deutschland macht sehr viel. Aber viele andere haben große Aufgaben zu bewältigen, um das überhaupt hinzubekommen. Deshalb gibt es schon sehr verbreitet die Ansicht, dass es mehr Flexibilität geben muss, um die massive Ausweitung unserer Verteidigungsinvestitionen zum Beispiel auch über eine Kreditaufnahme zu finanzieren.
Frage: Herr Bundeskanzler, bereitet es Ihnen Sorge, dass die USA ihre Unterstützung für die Ukraine möglicherweise daran koppeln möchten, dass die Ukraine im Gegenzug seltene Erden an die USA abtritt?
Bundeskanzler Scholz: Die Ukrainer haben in dem „victory plan“ Vorschläge gemacht, wie die Rohstoffe der Ukraine auch für die Zukunft der Ukraine genutzt werden können. Das allerdings ist meine persönliche Auffassung. Wir sollten diese Ressourcen des Landes nutzen, um all das zu finanzieren, was nach dem Krieg erforderlich ist. Es wäre sehr egoistisch und sehr selbstbezogen, wenn man sagen würde: Wir verwenden das Geld, um jetzt die Unterstützung bei der Verteidigung zu finanzieren. Es geht doch darum, dass die Ukraine künftig eine starke Armee hat, und es geht darum, dass die Ukraine ihren Wiederaufbau finanzieren kann. Das sind angesichts der riesigen Zerstörungen große Aufgaben, die vor der Ukraine stehen. Deshalb fände ich es besser, die Ressourcen der Ukraine würden für eine gute Zukunft genutzt.
Frage: Herr Bundeskanzler, Mexiko und die USA haben ihren Zollstreit zumindest vorläufig auf Eis gelegt. Ist das für Sie ein gutes Signal, auch was Gespräche zwischen der EU und Washington betrifft?
Bundeskanzler Scholz: Ich denke, dass die mexikanische Präsidentin eine sehr kluge Politikerin ist. Sie hat cool agiert.
Frage: Sie sprachen gerade von Flexibilität bei der Möglichkeit, gemeinsame Schulden für die Rüstung aufzunehmen. Wie flexibel werden Sie sein, oder würden Sie es ausschießen, Schulden vonseiten der Europäischen Union für gemeinsam Rüstungskäufe aufzunehmen?
Bundeskanzler Scholz: Die Europäische Union hat nicht die Perspektive, gemeinsame Schulden aufzunehmen. Es geht darum, dass wir mehr Flexibilität für die einzelnen Länder schaffen. Das ist die Aufgabe der nächsten Zeit. Aber eines ist ganz klar: Es gibt eine große Aufgabe zu bewältigen.
Es ist ja etwas irritierend, wie die Debatte in Deutschland verläuft. Wir werden, wenn das Sondervermögen für die Bundeswehr 2027 aufgebraucht sein wird, also ab 2028 in der nächsten Legislaturperiode, 30 Milliarden Euro aus dem normalen Haushalt für Verteidigung zusätzlich ausgeben müssen. Es ist fast gespenstisch, dass nicht darüber diskutiert wird, wie wir das bezahlen.
Ich habe einen klaren Vorschlag. Wir müssen für Deutschland eine Lösung entwickeln, die lautet: Wir nutzen die Möglichkeiten, Investitionen anders zu finanzieren, zum Beispiel – mein Vorschlag – über einen Deutschlandfonds. Wir müssen darüber hinaus auch sicherstellen, dass die Schuldenbremse reformiert wird, sodass wir zwar eine klare Begrenzung der Schuldenaufnahme haben, aber doch mehr Spielraum. Das geht. Während alle unsere Länder um uns herum eine Staatsverschuldung von über hundert Prozent haben, ist Deutschland dabei, seine Staatsverschuldung entlang der Maastricht-Kriterien jedes Jahr in Richtung auf 60 Prozent zurückzuführen. So stark wie wir ist kaum einer. Wir sollten unsere Spielräume nutzen, damit wir, wenn wir mehr für Verteidigung tun, dies nicht auf Kosten von Rente, Gesundheit, Pflege, auf Kosten der Investitionen in Straßen, Bahnen und die Modernisierung unserer Wirtschaft tun müssen.
Schönen Dank.