Als Antici im Gipfel-Einsatz

Hinter den Kulissen der EU Als Antici im Gipfel-Einsatz

Ganz Europa blickt nach Brüssel, wenn sich dort die Staats- und Regierungschefs der EU treffen. Ob Brexit, digitaler Binnenmarkt oder Klimaschutz – es geht um wichtige Themen. Ganz nah dran am Geschehen sind die sogenannten Anticis, die engsten Mitarbeiter der EU-Botschafter der Mitgliedstaaten. Interview mit dem deutschen Antici Thomas Eckert.

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Thomas Eckert im Sitzungssaal der Staats- und Regierungschefs im Europäischen Rat.

Thomas Eckert ist der deutsche Antici, der engste Mitarbeiter des EU-Botschafters.

Foto: Bundesregierung/Denzel

Kaum jemand außerhalb des Brüsseler EU-Betriebs kennt den Begriff Antici. Der Name geht zurück auf den italienischen Botschafter Paolo Massimo Antici. Er gründete während der italienischen Ratspräsidentschaft 1975 die Gruppe der Antici. Während der Sitzungen der Staats- und Regierungschefs fungiert ein Antici als Schaltstelle zwischen Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihren Beratern. Denn die Sitzungen werden nicht etwa per TV-Übertragung an die Delegationen übertragen – und es sind auch keine Berater im Saal.

Herr Eckert, wie oft mussten Sie schon erklären, was ein Antici ist?

Thomas Eckert: (lacht) Das muss ich sehr häufig tun, weil man mit dem Namen allein ja nicht sehr viel anfangen kann – außer, dass er italienisch klingt.

Die Anticis sitzen in einem Nebenraum des Verhandlungssaals der Staats- und Regierungschefs, in dem selbst nur zwei Protokollanten dabei sind. Und diese Protokollanten kommen dann in Ihren Antici-Raum und berichten, was die EU-Spitzen diskutiert haben?

Thomas Eckert: Genau, es gibt keine direkte Mitschrift. Auf diese Weise will man sozusagen einen gewissen Filter gewährleisten. Man will ja da nicht unbedingt alle Dinge wortwörtlich nach draußen transportieren. Das ist im Sinne einer freien Diskussion, dass man das nicht wortwörtlich mitverfolgt, sondern eine Zusammenfassung hat, die aber schon sehr nah an den tatsächlichen Äußerungen der Staats- und Regierungschefs ist. Dennoch verfassen die Protokollanten ein sehr detailliertes Verlaufsprotokoll.
Es sind übrigens mehr als zwei, weil zwei allein könnten das gar nicht schaffen. Es sind drei oder vier. Die kommen dann immer im fliegenden Wechsel in diesen Nebenraum, der direkt neben dem eigentlichen Sitzungssaal der Staats- und Regierungschefs liegt, und tragen sehr detailliert den Anticis aller Mitgliedstaaten in allen Einzelheiten ihr Verlaufsprotokoll vor. Das schreibt man dann mit. Im Laufe von so einem Briefing kommen schon 10 bis 15 Seiten Protokoll zusammen.

Wie geht es dann weiter?

Eckert: Diese Mitschriften werden in relativ kurzen Zeitabständen elektronisch ins Delegationsbüro weitergeleitet. Dort sitzt eine große Delegation – die ganzen Beraterinnen und Berater, die die Bundeskanzlerin begleiten. Fast alle sind auf diese Mitschriften angewiesen, weil ja sonst keiner im Saal sitzt. 

Besteht nicht die Gefahr, wenn die Protokollanten mitschreiben, und Sie dies wiederum aufschreiben, dass sich der Inhalt des Gesprächs verfälscht?

Eckert: Das glaube ich nicht. Wir sind ja alle schon ein bisschen dabei und kennen die Themen. Was man durch die indirekte Wiedergabe vermeiden will, ist, dass vielleicht harte Zitate einzelner Staats- und Regierungschefs eins zu eins weitergegeben werden. Weil da schon offen gesprochen wird. Und da fliegen halt auch manchmal durchaus die Fetzen.

Es gibt im Sitzungssaal für jeden Staats- und Regierungschef einen Knopf, mit dem sie oder er seinen Antici herbeirufen kann.

Eckert: Ja, es gibt einen Rufknopf. Da erscheint dann der Ländername auf einer großen elektronischen Tafel. Da muss dann derjenige Kollege gucken, was sein Staats- und Regierungschef gerade für einen Wunsch hat. Das kommt aber relativ selten vor.

Und ist das bei Ihnen schon vorgekommen?

Eckert: Mir ist es noch nicht passiert. Aber die Bundeskanzlerin ist ja auch schon viele Jahre länger da als ich. Sie ist eben sehr gut vorbereitet. Ich würde sagen, die, die da draufdrücken, sind in der Regel Staats- und Regierungschefs, die relativ neu sind.

So kurz vor dem Gipfel: Wie groß ist Ihre Anspannung? Stellen Sie sich schon darauf ein, dass Sie in der Nacht von Donnerstag auf Freitag wenig Schlaf haben werden?

Eckert: Darauf muss man sich immer einstellen, weil man schreibt da ja mit, man ist als Note-Taker eingesetzt für die Arbeitssitzungen und auch als Note-Taker für die anderen Sitzungen. Das heißt, man ist eigentlich die ganze Zeit im Einsatz, solange der Gipfel läuft – und auch weil man meistens der Letzte ist, der dann geht.

In der Regel findet vier Mal im Jahr ein Europäischer Rat statt. Für den 56-jährigen Thomas Eckert sind die Treffen inzwischen Routine. Den Job als Antici macht er schon im fünften Jahr. Ein Antici ist aber nicht nur beim Europäischen Rat im Einsatz. Anticis sind enge Mitarbeiter der jeweiligen Botschafter in der Ständigen Vertretung bei der EU in Brüssel. Sie bereiten vor allem die wöchentlichen Sitzungen des AStV II vor. Das Kürzel steht für "Ausschuss der Ständigen Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union". Außerdem begleiten sie die Botschafter zu den Treffen der Ministerräte.