"Neubürger" in Hoetmar herzlich willkommen

Integration auf dem Lande "Neubürger" in Hoetmar herzlich willkommen

In Hoetmar wird Integration groß geschrieben. In dem kleinen Dorf im Münsterland leben 80 Flüchtlinge. Durch sehr viel Engagement, pfiffige Ideen und neue Projekte ist es der Dorfgemeinschaft gelungen, dass die "Neubürger" hier ein Zuhause gefunden haben. Auch Praktikums- und Arbeitsplätze konnten schon vermittelt werden.

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Tasfay Yonas im Kleiderspende-Laden.

Kreative Konzepte: In einem Laden etwa können sich "Neubürger" gegen einen Obolus mit Kleidung eindecken.

Foto: Joanna Nottebrock

Hoetmar, ein 2.300-Einwohner-Dorf in Nordrhein-Westfalen, ist für viele Überraschungen gut. Nicht nur, dass sich das schmucke Dorf am Wettbewerb "Unser Dorf hat Zukunft" beteiligte und 2016 als "Golddorf" ausgezeichnet wurde. Nein, das Dorf sollte nicht nur attraktiv aussehen, es sollte sich auch prima darin leben lassen.

"Wir alle sind Hoetmarer"

"Immer häufiger waren Mitmenschen ausländischer Herkunft im Dorf unterwegs. Man sah sie einkaufen oder spazieren gehen – doch mehr Kontakt gab es nicht", erklärte Adelheid Vollmann, die Vorsitzende des örtlichen Arbeitskreises Integration. "Da musste Abhilfe geschaffen werden, zumal rund 70 Asylbewerber in Hoetmar leben." Das war im Oktober 2016. Jetzt sind es 80.

Aus dem schon bestehenden Arbeitskreis "Aktiv im Ruhestand" heraus gründeten die Mitglieder den Arbeitskreis "Integration". Man sprach auch jüngere Leute an, sich zu engagieren. Und es hat geklappt: Das Team besteht jetzt aus zehn Aktiven im Alter zwischen 40 und 75.

Das Ziel war klar: "Wir sehen unsere ausländischen Mitbürger als Bereicherung für unser Dorf und möchten ihnen eine aktive Teilnahme am Dorfleben ermöglichen", so die Vorsitzende. Aber der Anspruch war noch höher geschraubt: "Die Neubürger sollen sich bei uns wohlfühlen", sagte Vollmann. "Neubürger" – dieses Wort wurde bewusst gewählt – denn alle waren sich sicher, dass man so am besten zum Ausdruck bringen kann, dass die Zugezogenen eine Bereicherung für Hoetmar sind. 

Vermittlung in Praktika und Arbeit

An Ideen mangelt es den Aktiven nicht. Mit enormer Einsatzfreude schoben sie bereits eine Vielzahl von Projekten an, für die jeweils wiederum ein Ehrenamtlicher oder eine Ehrenamtliche verantwortlich ist.

Detlef Rosenbach zum Beispiel. Er will den Neubürgern eine Zukunftsperspektive eröffnen, indem er ihnen zu einem Praktikum, einem Arbeits- oder Ausbildungsplatz verhilft. Dafür ist er unermüdlich im Einsatz – sowohl im Gespräch mit heimischen Arbeitgebern als auch mit der Bundesanstalt für Arbeit (BA), den zuständigen Schulen und natürlich den Neubürgern selbst.

Rosenbach: "Das Gute ist, dass die Arbeitgeber mitziehen." Und: "Hier auf dem Dorf sind wir immer nah dran an allem." Jeder kenne jeden und alle zögen an einem Strang. Insbesondere bei Handwerkern stieß er auf offene Ohren. So gelang es ihm im Herbst 2016 für drei junge Eritreer Praktikumsplätze zu organisieren - in einer Schreinerei, einem Malerbetrieb und einem Fischrestaurant.

Rückschläge meistern

Doch nicht immer klappt alles wie gedacht. Rosenbach war "wie vom Donner gerührt", als er erfuhr, dass der 23-jährige Tasfay Yonas sein Praktikum in dem Fischrestaurant nach drei Wochen schmeißen wollte. Sicher, die Mitarbeit in einer Restaurantküche bei voller Gästezahl ist hektisch und anspruchsvoll, die sprachliche Verständigung noch schwer. Doch aufgeben?

Rosenbach sprach noch einmal mit Yonas und dem Restaurantbesitzer, versuchte zu vermitteln. Mit Erfolg: Yonas nahm sein Praktikum wieder auf. Und es kommt noch besser: Er und seine zwei Landsmänner werden ihre Praktika jetzt beenden und am 1. September mit einer von der Arbeitsagentur geförderten "Einstiegsqualifizierung" starten. Sie ist in allen drei Fällen mit der Aussicht auf eine anschließende Berufsausbildung verbunden.

Positives Resümee

Für Rosenbach war nun der Zeitpunkt gekommen, auf die vergangenen Monate zurückzuschauen und die Jugendlichen auf das Kommende vorzubereiten. Er organisierte für die drei Eritreer sowie vier weitere Neubürger, die bereits einen Arbeitsplatz in Hoetmar gefunden haben beziehungsweise für die eine konkrete Perspektive besteht, ein "Motivationswochenende". Es ging zum Möhnesee. Die Gruppe lieh sich Fahrräder, übernachtet wurde in einer Jugendherberge.

Ein Segelboot im Hafenbereich.

Beim Segeln sind sich alle einig: Durch Arbeit und Ausbildung, aber auch durch gemeinsame Freizeit, gelingt die Integration.

Foto: Detlef Rosenbach

Auch ein Segeltörn stand auf dem Programm. Eine neue und zunächst zwiespältige Erfahrung: Zu überwinden war nicht nur das Unbekannte - das Segeln. Denn keiner der Flüchtlinge hatte zuvor jemals ein Segelboot betreten. Zu überwinden war auch die Angst vor dem Wasser – denn unvergessen bleibt die gefährliche Fahrt über das Mittemeer während der Flucht. Gespräche, das Anlegen von Rettungswesten und die Sicherheit gebende Ausstrahlung der erfahrenen Skipper beseitigten jedoch alle Ängste.

In einem Abschlussgespräch gab Rosenbach allen Beteiligten die Möglichkeit, sich über ihr Leben in Deutschland auszutauschen, Ziele, Wünsche und die Wirklichkeit miteinander abzugleichen. Mit frischem Elan stellen sich die jungen Neubürger nun allem, was kommt.

Rosenbach zieht eine optimistische Bilanz: Im Dorf gibt es eine eindeutige Win-Win-Situation. Die jungen Männer fanden im Praktikum, begleitet vom Integrationskurs, eine berufliche Perspektive und die Handwerker des Dorfes können sich auf Auszubildende freuen. Ein Modell, das Schule machen sollte. Denn so Rosenbach: "Die Möglichkeiten sind noch lange nicht ausgereizt. Bei uns im Dorf gäbe es mindestens noch zwei weitere Betriebe, in denen Jugendliche ein Handwerk lernen könnten."

Gemeinsam an Lösungen arbeiten

Auch andere mussten zunächst mit Enttäuschungen fertig werden – wenn auch ganz anderen. Gerhard Averbeck betreibt einen Landfachhandel - angefangen von Tierfutter und Düngemittel bis hin zu Getränken. Im Herbst vergangenen Jahres war er sehr froh über Mitarbeiterzuwachs: Emil Zukorlic, einem Verkehrsingenieur aus Serbien. "Ein verlässlicher und anpackender Mitarbeiter, den ich gerne bei mir behalten hätte", so Averbeck. Denn trotz einer Arbeitserlaubnis der BA mussten er und seine Familie Hoetmar verlassen, da sein Asylantrag abgelehnt wurde. Die Familie ging zurück nach Serbien.

Doch Rosenbach und weitere Mitglieder des Arbeitskreises machten sich schlau, wie es gelingen könnte, den Mitarbeiter zurückzuholen. Sie führten viele Gespräche mit der BA, dem BAMF, der Ausländerbehörde sowie den Bundestagsabgeordneten des Wahlkreises. Über die örtliche Presse wurde auch die Öffentlichkeit informiert. Es klappte: Zukorlic erhielt in Belgrad ein Arbeitsvisum und ist nun zurück in Hoetmar. Jetzt hofft er, recht zügig seine Familie nachholen zu können, die bereits sehr gut im Dorf integriert war.

Unterstützung im Alltag

Der Arbeitskreis hilft auch im täglichen Leben. "Wir bieten vielfältige Arten von Unterstützung an: zum Beispiel bei Behördengängen, Hilfe bei Formularen, und bei der Kontaktaufnahme zu Schulen und Kindergärten", so die Vorsitzende Vollmann. Aber auch mit Fahrrädern, Sprachkursen, Kochkursen, Fahrdiensten und der Verteilung von Einrichtungsgegenständen ist der Arbeitskreis hilfreich. Eine junge Aserbaidschanerin, Aygün Gasimova steht unterstützend zur Seite. Da sie russisch und türkisch spricht, kann sie oft bei Übersetzungen helfen.

Flüchtling Embra Aliu und Reimund Weiler am Eingang des Integrationsgartens.

Drei Hoetmarer Familien und zwei Flüchtlingsfamilien bestellen hier ihre eigenen Parzellen.

Foto: Joanna Nottebrock

In einem eigenen Laden werden Spenden von den Dorfbewohnern entgegengenommen und sortiert. "Neubürger und Hoetmarer Bedürftige können sich hier gegen einen Obolus mit Kleidung und Haushaltswaren eindecken", erläutert Heike Kappelhoff das Konzept.

Besonders stolz ist der Arbeitskreis darauf, schon drei Privatwohnungen für die Neubürger beschafft zu haben. Wenn alles klappt, wird auch noch eine kleine Fahrradwerkstatt eingerichtet. Sie soll dann von einem Flüchtling betrieben werden.

Ein weiteres Projekt ist der "Integrationsgarten": Eine Parzelle von 800 Quadratmetern, die drei Jahre brach lag, wurde urbar gemacht. "Es haben sich sowohl Hoetmarer Familien als auch Flüchtlingsfamilien gefunden, die auf ihren eigenen Parzellen nun bereits fleißig ernten", berichtet Arbeitskreismitglied Reimund Weiler.

Neubürger sind "angekommen!"

Die Mitglieder der Integrationsgruppe sind sich einig: Ihr Dorf bietet beste Voraussetzungen zur Integration. "Alle ziehen und helfen mit. So entsteht eine dynamische und engagierte Atmosphäre, in der jeder das leistet, wozu er zeitlich und inhaltlich in der Lage ist", sagt Detlef Rosenbach.

Die Ehrenamtlichen haben Freude an der Arbeit und sehen die Erfolge: Wenn etwa die Neubürger in Praktikums- oder Arbeitsplätze vermittelt werden konnten. Auch die Zahl der Kinder in Kindergarten und Schule ist gestiegen. Ebenso freuen sich Sportvereine über Zuwachs.

Adelheid Vollmann stellt fest: "Die Arbeit macht Spaß und ist eine wirkliche Bereicherung. Durch das Vertrauen der Flüchtlinge, ihre Freude und Dankbarkeit bekommen wir viel zurück."