"Europa steht am Scheideweg"

Zukunft der Europäischen Union "Europa steht am Scheideweg"

Bundeskanzlerin Merkel hat ihre Pläne zur Zukunft der Europäischen Union vorgestellt. Sie warb dafür, gemeinsame Werte und Überzeugungen konsequent durchzusetzen. Europa stehe am Scheideweg: "Wenn wir stehenbleiben, werden wir in den großen globalen Strukturen zerrieben."

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Bundeskanzlerin am Rednerpult

"In dieser Welt muss Europa seine Rolle neu finden", sagte Bundeskanzlerin Merkel.

Foto: Denzel/Bundesregierung

Video Europa muss seine neue Rolle finden

In einer sich verändernden Welt müsse Europa seine Rolle neu finden, sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel auf der Jahreskonferenz des Rates für Nachhaltige Entwicklung. "Wir sehen alle, dass die Welt sich neu ordnet."

Die bipolare Ordnung des kalten Krieges habe sich zu einer multipolareren Welt mit der Supermacht USA und einem dynamisch wachsenden China entwickelt. Flucht in einfache Lösungen und Rückzug in Nationalismus seien der falsche Weg. Vielmehr gehe es um eine überzeugende europäische Antwort: "Es bedarf einer europäische Kraftanstrengung, um die Europäische Union in der globalen Ordnung des 21. Jahrhunderts zu verankern, und wieder ein umfassendes Sicherheitsversprechen zu geben."

Europa ein Friedensversprechen

"Die Europäische Union war immer ein Wohlstands- und ein Friedensversprechen", betonte Merkel. Um dieses weiter halten zu können, sieht die Kanzlerin fünf Handlungsfelder:

1. Gemeinsame Außen-, Verteidigungs- und Sicherheitspolitik

Merkel schlug vor, den nichtständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat künftig nicht von einem einzelnen europäischen Land besetzen zu lassen, sondern als europäischen Sitz. Zudem solle ein europäischer Sicherheitsrat geschaffen werden, um schneller agieren zu können - hier sollten die Mitgliedsstaaten rotieren.

In einem europäischen Weißbuch über Sicherheitspolitik könnten Herausforderungen gemeinsam definiert und so die Zusammenarbeit in den Bereichen Verteidigung und Entwicklungspolitik verbessert werden.

2. Gemeinsame Entwicklungs-, Migrations- und Asylpolitik

Wie reagieren wir auf die illegale Migration? Wie schaffen wir ein gemeinsames Asylsystem? Wie schaffen wir eine Entwicklungsagenda, die wirklich zum Wohlstand und zu Nachhaltigkeit nicht nur hier bei uns führt? Diese Fragen bergen aus Sicht der Kanzlerin die "größte Gefahr für die Zukunft der Europäischen Union".

Die Kanzlerin schlug deshalb ein gemeinsames Europäisches Asylsystem, eine europäische Grenzpolizei sowie ein System der flexiblen Solidarität zwischen den Mitgliedsstaaten vor. Merkel forderte zudem eine konsequente Bekämpfung der Fluchtursachen durch einen neuen Pakt mit Afrika, "einen Marshall-Plan mit Afrika".

3. Gemeinsame Wissenschafts-, Wirtschafts- und Währungsunion

Die soziale Marktwirtschaft des 21. Jahrhunderts sei unter Druck geraten, die Digitalisierung eine der großen Herausforderungen, so Merkel.

Die Kanzlerin forderte verstärkte Forschungsausgaben, Zukunftsinvestitionen in Höhe von drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Merkel regte zudem an, "dass wir in Europa gemeinsame Netzwerke exzellenter Lehr- und Forschungseinrichtungen haben, dass wir uns um die Herausforderungen der Künstlichen Intelligenz kümmern, aber in einer ethisch verantwortungsvollen Art und Weise".

Schließlich mahnte die Kanzlerin eine Weiterentwicklung der Wirtschafts- und Währungsunion, ganz besonders der Eurozone, an. Merkel schlug einen Europäischen Währungsfonds (EWF) vor, ähnlich strukturiert wie der Internationale Währungsfonds. Wenn die Eurozone in Gefahr sei, müsse der EWF beispielsweise Kredite vergeben können. "Wir sollten dort für alle Krisenfälle auch wirklich Vorsorge tragen."

Des Weiteren schlug Merkel ein Investitionsbudget vor. Damit solle die wirtschaftliche Stärke und die Wohlstandsituation in den einzelnen Mitgliedsländern angeglichen werden.

Zudem warb sie für multilaterale Handlungsabkommen und eine starke Welthandelsorganisation. Wo notwendig, sollten auch "faire, bilaterale Handelsabkommen geschlossen werden", so die Kanzlerin.

4. Gemeinsame Union der Bildung, der kulturellen Vielfalt und einer Wahrung der Schöpfung

Ein europäisches Jugendwerk könne helfen, europäische Themen auch zu den jungen Menschen zu bringen. Austauschprogramme nicht nur für Studenten sondern auch in der Berufsausbildung sowie gemeinsame Berufsabschlüsse seien ein guter Weg, so Merkel. Es gelte, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus entschlossen entgegenzutreten.

5. Eine Europäische Union, die handlungsfähiger ist, als sie es heute ist.

"Wenn wir stehen bleiben, dann werden wir in den globalen Strukturen zerrieben - oder wir entscheiden uns, gemeinsame Interessen und Werte und Überzeugungen im globalen Alltag konsequent und im Sinne von Freiheit, Rechtsstaat und Demokratie durchzusetzen", so das Fazit der Kanzlerin. Auch die Verkleinerung einer Kommission dürfe nicht zum Tabu erklärt werden.