Rede der Bundesministerin für Arbeit und Soziales, Andrea Nahles,

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Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Erlauben Sie mir, bevor ich zum Haushalt komme, einige Bemerkungen zu den aktuellen Tarifauseinandersetzungen und den Streiks der letzten Wochen:

Das Streikrecht ist ein zentrales Grundrecht, ein Eckpfeiler unserer Demokratie. Dennoch herrscht in diesen Tagen bei vielen Menschen Unverständnis über die Streiks. Der Grund liegt klar auf der Hand, denn zum Kern des Streikrechts gehört immer auch das Prinzip der Solidarität: Die Stärkeren treten für die Schwächeren ein. Man kann es auch auf die Formel bringen: Alle streiken gemeinsam für alle.

Das ist aber nicht das, was wir in diesen Tagen erleben, sondern hier scheint das Prinzip vorzuherrschen: Wenige schauen nur auf sich. Dass einige Spartengewerkschaften für ihre Partikularinteressen vitale Funktionen unseres gesamten Landes lahmlegen, ist nicht in Ordnung. Das untergräbt den Zusammenhalt in unserem Land, und es legt die Axt an die Wurzeln der Tarifautonomie.

Deswegen stehe ich hier klar für das Prinzip der Tarifeinheit ein. „Ein Betrieb, ein Tarifvertrag“ hat über viele Jahre in Deutschland gegolten, und es soll auch wieder gelten. Wir werden das stärken. Deswegen werde ich hier in Kürze den Entwurf eines Gesetzes zur Tarifeinheit vorlegen.

Nun komme ich aber zum Haushalt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit dem Einzelplan elf beraten wir einen wichtigen Zukunftsetat. Ein gutes Leben für die Menschen in unserem Land, eine gute Zukunft für Deutschland: Das ruht auf drei Säulen, nämlich auf wirtschaftlichem Erfolg, auf sozialem Miteinander und natürlich auch auf den individuellen Chancen für jeden Einzelnen. Deswegen ist es wichtig, dass wir eines erreichen und sichern: eine hohe Beschäftigung in unserem Land.

Machen wir uns klar, was eine hohe Beschäftigung, eine hohe Erwerbstätigkeit bedeutet: Sie sichert unseren Wohlstand, sie ist für unsere sozialen Sicherungssysteme essenziell, und sie ist auch die beste Zukunftsversicherung für den demografischen Wandel. Deswegen ist mein Hauptziel als Arbeitsministerin, eine hohe Erwerbstätigkeit in Deutschland zu sichern und weiter zu fördern.

Wir haben eine extrem gute Ausgangslage: fast 43 Millionen Erwerbstätige – das gab es noch nie –, Tendenz steigend. Besonders stark steigt die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten. Sie liegt mittlerweile bei über 30 Millionen. Gerade in der letzten Woche hat uns die OECD deswegen ein wirklich gutes Zeugnis ausgestellt: Unsere Beschäftigung wächst weiter, die Arbeitslosigkeit sinkt, und im internationalen Vergleich gibt es für uns überall beste Platzierungen. Ich zitiere: Deutschland gehört zu den Toparbeitsmarktperformern.

Das ist aus meiner Sicht ein gutes Zeugnis für die gesamte deutsche Politik. Darüber können wir uns freuen – ohne uns deswegen auf unseren Lorbeeren auszuruhen. Uns allen muss klar sein: Mit Blick auf morgen müssen wir heute alles tun, um diese Entwicklung zu verstetigen und zu festigen.

Zuerst will ich das Thema junge Menschen ansprechen. Entscheidend ist, dass die Übergänge von der Schule in die Ausbildung oder in den Beruf keine Stolperfalle mehr sind. In den 2000er-Jahren haben wir in diesem Land zu viele junge Menschen verloren, die nicht erfolgreich von der Schule in eine berufliche Ausbildung oder sonstige Ausbildung gelangt sind. Deswegen – da bin ich sicher, dass die gute Zusammenarbeit mit der Bildungsministerin Frau Wanka weiter Früchte tragen wird – werden wir an dieser Stelle mit der Etablierung von flächendeckenden Jugendberufsagenturen eine zentrale Veränderung bewirken: statt nachzusorgen, wo etwas schiefgegangen ist, wollen wir rechtzeitig helfen, damit es gelingt. Das ist das Grundprinzip, auf das wir uns verständigt haben.

Wir haben 500 Millionen Euro für die nächsten Jahre eingestellt, um die Berufseinstiegsbegleitung zu finanzieren. Berufseinstiegsbegleitung bedeutet: Wir beginnen mit der Begleitung der jungen Menschen schon in der Schule. Wenn es nötig ist, begleiten wir die jungen Menschen ein halbes Jahr und länger auch in der Ausbildung.

Wir haben festgestellt, dass wir zwar viele junge Menschen vermitteln konnten, darunter auch viele schwächere Schüler, aber die Abbrecherquote ist zu hoch. Darauf zielt eines unserer ESF-Bundesprogramme. Mithilfe dieses Programms können wir
115. 000 Schülerinnen und Schülern zusätzlich einen erfolgreichen Berufseinstieg ermöglichen. Das werden wir in den nächsten Jahren zu einem unserer Schwerpunkte machen.

Klar ist auch: Es geht nicht nur darum, Fachkraft zu werden, sondern auch, es zu bleiben. Das gelingt leider nicht allen. Ich denke zum Beispiel an Frauen, die nach der Erziehungszeit zurückkehren möchten: Sie sind hochqualifiziert, aber natürlich ist die Qualifizierung ein bisschen in die Jahre gekommen. So geht es auch Älteren und vielen gut qualifizierten Migranten. Deswegen werden wir im Herbst eine Partnerschaft für Fachkräfte mit den Arbeitgebern, den Gewerkschaften, der Bundesagentur für Arbeit und natürlich den zuständigen Ressorts auf den Weg bringen. Fachkräftesicherung ist ein wichtiges Zukunftsthema. Dafür legen wir mit diesem Etat den Grundstein.

Eine hohe Beschäftigungsquote erreichen wir aber nur, wenn wir wirklich allen – ich betone: allen – eine Chance geben. Deswegen nehme ich die Kritik der OECD ernst, die sich auf die verfestigte Langzeitarbeitslosigkeit in Deutschland bezieht. Das, was wir hier sehen, kann uns nicht zufriedenstellen: Wir haben die Langzeitarbeitslosigkeit in diesem Land zwischen 2006 und 2009 um 40 Prozent absenken können, aber seither stagniert sie. Wir kommen hier nicht voran. Die Langzeitarbeitslosigkeit betrifft nicht immer dieselben Menschen. Aber von der Zahl von circa einer Million Menschen kommen wir nicht herunter.

Es ist für mich eine Zukunftsfrage, wie wir die vorhandenen Mittel effizient einsetzen, um Spielräume zu schaffen, damit wir von Passivleistungen wegkommen hin zu einer aktivierenden Arbeitsmarktpolitik, also hoher Beschäftigung statt verfestigter Arbeitslosigkeit.

Hierfür stehen uns rund 900 Millionen Euro zur Verfügung. Mit diesem Geld eröffnen sich gute Möglichkeiten und Chancen für den Einzelnen. Das Programm soll dazu beitragen, gezielt Arbeitgeber anzusprechen, ein intensives Coaching zu ermöglichen und teilweise auch Lesen, Schreiben und Grundrechenarten überhaupt wieder so weit zu vermitteln, dass ein Einstieg in die Arbeitswelt möglich wird.

Ich denke, dass wir es mit diesem Programm schaffen können, viele Brücken für Menschen zu bauen, die diese sicher gerne beschreiten. Jeder hier weiß aber auch: Langzeitarbeitslosigkeit zermürbt und macht viele Menschen auf die Dauer hoffnungslos. Das dürfen wir nicht akzeptieren. Jeder Mensch hat ein Recht auf Hoffnung, auf Arbeit und auf Chancen.

Grundlegend ist für mich daher eine gute und gelungene Integration in den Arbeitsmarkt. Aber wir wissen auch: Bei vielen geht es, jedenfalls erst einmal, nicht mehr um den direkten Zugang zum Arbeitsmarkt, sondern wir reden hier in Wahrheit über soziale Teilhabe, über Dabeisein und Mittun in unserer Gesellschaft. Das ist eine Dimension, die wir auf der politischen Ebene alleine überhaupt nicht bewältigen können, schon gar nicht ohne die Kommunen, ohne die Bürgermeister vor Ort, ohne die Aktiven, die die Menschen ganz persönlich erreichen.

Wir werden noch in diesem Jahr Vorschläge machen, die wir dann auch hier im Plenum beraten – ich habe auch angeboten, das im Ausschuss gesondert zu beraten –, um zu klären, wie wir auch für diese Menschen Brücken bauen können. Für die Zukunft ist also eine Menge zu tun.

Zukunftsfähigkeit heißt aber auch, eine hohe Erwerbstätigkeit der Älteren zu sichern. Deswegen werden wir im Dezember mit den Vorschlägen an die Öffentlichkeit gehen, die wir in der Arbeitsgruppe „Flexible Übergänge in den Ruhestand“ erarbeitet haben. Diese Arbeitsgruppe arbeitet darauf hin, Hürden für Menschen, die über die normale Altersgrenze hinaus arbeiten wollen, zu beseitigen, damit sie weiter in Beschäftigung bleiben können. Sie versucht aber auch, flexiblere Möglichkeiten für den Eintritt in den Ruhestand zu finden. Wir sind zuversichtlich, dass wir einen wichtigen Schritt nach vorne machen und damit einen Beitrag zur hohen Erwerbstätigenquote und zur Fachkräftesicherung in unserem Land leisten können.

In diesem Zusammenhang möchte ich auch darauf aufmerksam machen, dass es wichtig ist, dass die Menschen, die in Arbeit sind, gesund und motiviert bleiben. Ich möchte zwei Zahlen nennen, die ein deutlich wachsendes Problem beschreiben: Psychische Erkrankungen sind inzwischen die Ursache Nummer eins für Frühverrentungen. Von 15,4 Prozent im Jahr 1993 stieg die Zahl auf 42 Prozent im Jahr 2012. Noch beunruhigender ist: Diese Menschen sind im Durchschnitt 48 Jahre alt.

Die Zahl der Arbeitstage, die aufgrund von seelischen Erkrankungen ausfallen, hat sich im letzten Jahrzehnt nahezu verdoppelt, und zwar von 33 Millionen ausgefallenen Arbeitstagen auf 59,5 Millionen Arbeitstage. Das ist schlimm für die Betroffenen, und das kostet auch. Das beschäftigt deswegen viele Unternehmen, und es beschäftigt nicht zuletzt auch die Krankenkassen und die Rentenversicherung. Deswegen bin ich meiner Vorgängerin, Frau von der Leyen, sehr dankbar, dass sie schon zu Beginn des Jahres 2013 einen großen Forschungsauftrag an die BAuA, die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, vergeben hat, in dem es um die Aufbereitung von Kriterien für Stress auf einer verlässlichen wissenschaftlichen Basis geht. Denn eines möchte ich an dieser Stelle auch klar sagen: Diese Kriterien hat zurzeit niemand. Es gibt keine Blaupause, die wir nutzen können, um mehr für den Gesundheitsschutz zu tun. Ich nehme diesen Forschungsauftrag ernst und werde die Ergebnisse mit Ihnen zusammen diskutieren und, so hoffe ich, gemeinsam mit den Sozialpartnern Regelungen finden, die helfen. Denn darum geht es im Kern: um Arbeits- und um Gesundheitsschutz. Die damit verbundenen Herausforderungen müssen wir meistern.

Die Digitalisierung unserer Arbeitswelt ist für viele eine große Befreiung: Sie ermöglicht mehr selbstbestimmtes Arbeiten, Heimarbeit und vieles mehr, was noch vor 20 Jahren gar nicht denkbar war. Aber die Digitalisierung ist janusköpfig: Zum einen ist sie eine große Chance; zum anderen kann das ständige Senden und Empfangen, die ständige digitale Kommunikation – übrigens auch in der Freizeit –, zu einer erheblichen Belastung werden. Das müssen wir uns vergegenwärtigen und hierzu die nötigen Lösungen erarbeiten. Das ist wichtig. Ich bin jedenfalls guter Dinge, dass wir in ein oder zwei Jahren mehr dazu wissen und uns konkreter damit auseinandersetzen können, als das in diesen pauschalen Debatten möglich ist.

Sie merken: Es gibt im Etat des Einzelplans elf vieles, was in die Zukunft weist; es ist ein Zukunftsetat. Wir schaffen damit die Grundlagen für eine gute Erwerbstätigenquote auch in der Zukunft. Wir schaffen damit aus meiner Sicht auch eine gute Grundlage zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, gerade der verfestigten Arbeitslosigkeit. Wir werden auch die Zukunftsaufgaben, die im Zusammenhang mit der Sicherung des Fachkräftebedarfs stehen, anpacken. Deswegen freue ich mich auf die Debatte mit Ihnen in der nächsten Zeit.