Die Bekämpfung der Organisierten Kriminalität in Deutschland - Ansprache von Bundesminister Kanther in Wiesbaden

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Der Bundesminister des Innern, Manfred Kanther, hielt zur Eröffnung der
Arbeitstagung des Bundeskriminalamtes am 19. November 1996 in Wiesbaden
folgende Rede:

Es gibt heute kein anderes sicherheitspolitisches Thema, das zugleich auch in
gesellschaftlicher Hinsicht so nachhaltig drängend wäre. Die Bekämpfung der
Organisierten Kriminalität ist über die letzten Jahre hinweg ebenso ein
Kernbereich der polizeilichen Arbeit wie der Innen- und Rechtspolitik der
Bundesregierung. Diese Aufgabe steht gleichwertig neben den wichtigsten Themen
der Zukunftssicherung für unser Land im geistigen oder ökonomischen Bereich.

Zwei Faktoren sind vor allem für die beängstigende Ausbreitung und Zunahme
der Organisierten Kriminalität in Deutschland und in Europa seit Anfang dieses
Jahrzehnts verantwortlich: Zum einen die Globalisierung der modernen
Industrie- gesellschaften, die in der atemberaubenden Entwicklung der
Telekommunikation und in der sprunghaften Zunahme der weltweiten Mobilität von
Waren, Dienstleistungen, Geld und Menschen zum Ausdruck kommt. Zum anderen ist
es der historische Umbruch der Gesellschaften in Mittel-, Ost- und
Südosteuropa, in dessen Folge es zu einem Import von Kriminalität –
allgemeiner wie organisierter gleichermaßen – gekommen ist.

Beide Faktoren verstärken sich zusätzlich gegenseitig. Sie bilden die Basis
für das, was wir heute als organisiertes Verbrechen bezeichnen, nämlich die
grenzüberschreitende, internationale, gewerbsmäßige Kriminalität von Banden.

Organisierte Kriminalität ist längst keine kriminalistische Spezialität mehr.
Allein ihre quantitative Dimension macht das deutlich: Im Jahr 1995 gab es 787
Ermittlungskomplexe in Deutschland, fast 8000 Tatverdächtige, über 50000
Einzeldelikte. Organisierte Kriminalität ist vielfältig und differenziert. In
mehr als der Hälfte aller Verfahrenskomplexe wurden deliktsübergreifende
Verhaltensweisen festgestellt. In 35 Prozent der Verfahren lag der Schwerpunkt
der kriminellen Aktivitäten beim Rauschgifthandel und -schmuggel.

Organisierte Kriminalität ist internationale, transnationale Kriminalität.
Ausländische Täter und Tätergruppierungen spielen die bedeutendste Rolle. Die
Tatverdächtigen in Deutschland kommen aus 87 verschiedenen Nationen. Nur ein
gutes Drittel von ihnen sind Deutsche, knapp zwei Drittel Ausländer. Damit
liegt der Anteil der ausländischen Tatverdächtigen mehr als doppelt so hoch
wie bei der allgemeinen Kriminalität.

In etwa zwei Drittel aller Verfahren haben Tatverdächtige unterschiedlicher
Nationalität zusammengewirkt. In vielen Verfahrenskomplexen konnten
Verbindungen zu ausländischen Täterorganisationen festgestellt werden. In
einigen Fällen wurden auch Verbindungen zur kurdischen PKK erkannt.
Politischer Terrorismus und allgemeines Verbrechen reichen sich die
schmutzigen Hände.

In fast jedem vierten der grenzüberschreitenden Verfahren lagen Tatbezüge in
die Niederlande, in fast jedem sechsten nach Polen vor. Überhaupt sind unsere
Nachbarn in Europa von dem Problem in ähnlicher Weise betroffen wie wir. In
Italien wird gegen 536 Gruppierungen mit knapp 5000 Tatverdächtigen ermittelt,
wobei sich die Situation speziell in Italien von der in Deutschland allerdings
dadurch unterscheidet, daß die Mafia und ihre schrecklichen Schwestern dort
schon seit Generationen einen Teil der gesellschaftlichen Wirklichkeit
ausmachen. Da in Italien keine vergleichbare Zuwanderung stattgefunden hat,
ist naturgemäß auch der Anteil der importierten Organisierten Kriminalität
geringer. Es bedarf der Betonung, um wie vieles schwieriger die Bekämpfung
organisierter Banden wird, wenn sie bevorzugt von ausländischen Tätern aus
aller Welt gebildet werden.

Organisierte Kriminalität ist gewinnmotivierte und gewinnorientierte
Kriminalität. Schätzungen der durch die Organisierte Kriminalität erzielten
Gewinne weltweit belaufen sich auf mehrere 100 Milliarden US-Dollar jährlich.
Man mag zu solchen Schätzungen stehen, wie man will, kein Zweifel kann daran
bestehen, daß das organisierte Verbrechen gewaltige Profite erzielt. Bei den
Zahlenangaben handelt es sich allein um die Auswirkungen tatsächlich erkannter
Straftaten, also um das Hellfeld. Wie groß das tatsächliche Ausmaß der
Organisierten Kriminalität und der dadurch verursachten Schäden und der
erzielten Gewinne ist, weiß niemand.

Organisierte Kriminalität funktioniert heute mehr und mehr nach den Struktur-
und Organisationsprinzipien des Wirtschaftens und von Märkten. In vielen
Fällen stellen die Strafverfolgungsbehörden gewerbliche oder
gesellschaftsähnliche Strukturen fest. Nach einem stets gleichen Muster werden
legale und illegale Geschäfte miteinander verkoppelt. Gestaltungsvielfalt und
Flexibilität unseres freiheitlichen Wirtschafts- und Rechtssystems werden
systematisch ausgenutzt. Die Tatbegehung orientiert sich an den Bedürfnissen
des Marktes, wie wir das bei der Verschiebung hochwertiger Kraftfahrzeuge
immer wieder beobachtet haben. Die Tatausführung und Beuteverwertung sind
arbeitsteilig angelegt.

Die Organisierte Kriminalität nährt sich selbst. Auf allen möglichen Wegen
werden die erheblichen Gewinne gewaschen. Sie ermöglichen es den im
Hintergrund agierenden Haupttätern vielfach, sich mit der Aura erfolgreicher
und seriöser Geschäftsleute zu umgeben. Die Randfiguren in diesem Spiel haben
keinen Einblick in die Aufgaben und die Zusammensetzung der
Gesamtorganisation. Sie sind beliebig ersetzbar. Durch skrupellose
Gewaltanwendung werden diese Strukturen gesichert und durch Abschottung und
Konspiration aufrechterhalten.

Primäres Ziel der Organisierten Kriminalität sind ganz ohne Zweifel ihre
materiellen Gewinne. Das darf aber nicht den Blick dafür verstellen, daß
Organisierte Kriminalität direkt oder indirekt auch das rechtsstaatliche
Funktionieren von Staat und Gesellschaft beschädigt und das auch will.
Organisierte Kriminalität will rechtsfreie Räume, in denen sie und nicht der
Staat regiert. Wo ein Wirtschaftsbereich durch Schutzgelderpressung
durchdrungen wird oder ein Geflecht gegenseitiger Abhängigkeiten zwischen
Entscheidungsträgern des Staates und kriminellen Organisationen besteht, wird
zwangsläufig ein Milieu geschaffen, in dem die staatliche Rechtsordnung nicht
mehr gilt. So entsteht neben der Welt des Rechts eine parallele Struktur, die
die Basis der Organisierten Kriminalität verbreitert und stärkt.

Verbrecherische Einflußnahme Organisierter Kriminalität auf
Entscheidungsträger in Wirtschaft, Gesellschaft und Staat erschüttert das
Rechtsvertrauen der Bürger und kann sie einem Staat entfremden, der sie nicht
hinreichend schützt. Deshalb kann nicht früh genug gegen Korruption angekämpft
werden. Sie ist eine Krankheit, die sich nur zu Beginn bewältigen läßt, bevor
sie sich als zersetzendes Gift im gesellschaftlichen Körper festgesetzt hat.
Deshalb ist der Kampf gegen das Verbrechen zugleich ein Kampf für die
Wertordnung des Grundgesetzes, des demokratischen, wehrhaften Staates in
Deutschland.

Für die Bekämpfung der Organisierten Kriminalität gibt es kein Patentrezept.
Ihre Entstehungsfaktoren und ihre Elemente zeigen aber, daß es sich bei dieser
Herausforderung nicht allein um ein Problem von Polizei und Strafverfolgung
handelt. Wir brauchen vielmehr ein Konzept der Verbrechensbekämpfung, das alle
Kräfte in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft für diesen Zweck in Anspruch
nimmt, zielgerichtet abstimmt und bündelt. Darin liegt die Aufgabe einer
entschlossenen Politik, die von den Realitäten ausgeht und nicht von Phrasen.

Diese Realitäten sind vielfältig: Wenn ein ganz wesentlicher Teil der
Kfz-Kriminalität darin besteht, daß Eigentümer einen Diebstahl vortäuschen,
dann muß die Versicherungswirtschaft Wege finden, diese Betrugsbereitschaft
einzuschränken. Ein weiteres positives Beispiel ist die serienmäßige
Einführung der elektronischen Wegfahrsperre durch die Automobilindustrie.

Die Kreditwirtschaft hat es uns in den letzten Jahren vorgemacht, wie man
durch einfache technische Innovationen, wie etwa ein Foto auf der Karte oder
die Organisation der Versandwege, dem organisierten Mißbrauch neuer
Zahlungssysteme einen Riegel vorschieben kann.

Die kriminalitätsabweisende Organisation neuer Telekommunikations- und
Computernetze ist ebenso zuerst eine Aufgabe der Netzbetreiber. Wenn neue
Produkte, wie etwa hochauflösende Farbkopierer auf den Markt kommen, dann darf
es nicht sein, daß sich darum sofort ein neues Kriminalitätsphänomen bildet.
Es muß vielmehr schon bei der Produktentwicklung bedacht werden, ob und wie
eine kriminelle Nutzung des Produkts verhindert oder erschwert werden kann.

Ich bin überzeugt, daß das Innovationspotential der Wirtschaft in allen
diesen Bereichen noch längst nicht ausgeschöpft ist. Technik bietet eine
geradezu ideale Prävention und wirtschaftliche Chance zugleich.

Kommen wir zu einigen ausgewählten Feldern der Organisierten Kriminalität,
die in Deutschland besondere Sorge bereiten. Beim Drogenschmuggel und
Drogenhandel müssen wir trotz aller Schwierigkeiten unermüdlich schon in den
Anbau- und Herstellerländern, bei den Hintermännern des Drogenhandels und in
den Transitländern ansetzen. Wir müssen die Transitländer, von denen manche
irrtümlich meinen mögen, durch den Drogentransit zu profitieren, für den
gemeinsamen Kampf dagegen gewinnen. Und wenn wir diesen Transitländern
klarmachen, daß sie keine Chance auf eine positive Entwicklung haben, wenn sie
die Bildung von Organisierter Kriminalität zulassen, wird uns das auch
gelingen. Denn die Transitländer von heute werden die Rauschgiftmärkte von
morgen sein. Im Kampf gegen die Rauschgiftkriminalität verdienen die Täter
kein Pardon. Höchste Strafen, scharfe Anwendung des Ausländerrechts, Verzicht
auf feinsinnige Bedenklichkeiten wie gegen die Verabreichung von Brechmitteln
oder die Entschuldigungskampagnen zugunsten von Kleinverbrauchern angeblich
harmloser Mittel sind gleichermaßen unverzichtbar.

Für eine wirksame Bekämpfung der Schlepperkriminalität ist der beschlossene
Aus- und Umbau des Bundesgrenzschutzes wichtig. Wir dürfen uns aber darauf
nicht beschränken. Auch hier müssen wir in den Herkunfts- und Transitländern
ansetzen, müssen uns den Hintergründen widmen, die Legenden der geschleppten
Personen aufdecken bis hin zu den Schreibbüros und den Dokumentenfälschern.
Wir müssen schnell die neuen Routen entdecken, über die die Geschleppten zu
uns kommen, und wir müssen sie schließlich konsequent zurückführen. Denn die
Rückführung der Geschleppten in ihre Herkunftsländer ist immer noch der beste
Schutz gegen neue Versuche der Schlepper. Es ist unübersehbar, daß die
Organisa- tion illegaler Arbeit und gewerbsmäßiges Schleppertum Hand in Hand
gehen; die illegale Wanderungsbewegung nach Westeuropa ist auch eine Quelle
für sich unentwegt neu ergänzende Kriminalität. Insoweit ist Aufbauhilfe in
den Hauptherkunftsländern nicht weggeworfenes Geld, sondern dient in hohem
Maße unseren Interessen.

Einen wichtigen Beitrag gegen den "Ruheraum Deutschland" bei
grenzüberschreitender Kriminalität leistet auch die gesetzliche Befugnis der
Polizei zur Durchführung verdachts- und ereignisunabhängiger
Identitätskontrollen, die Bayern Anfang 1995 in seinem Polizeigesetz verankert
hat; andere Länder werden folgen. Die Einbindung Deutschlands in den
wachsenden Schengener Verbund stellt auch an die Sicherheitspolitik der Länder
neue Anforderungen. Nur durch einen gemeinsamen "Sicherheitsschleier" von
Bundesgrenzschutz und Landespolizeien kann verhindert werden, daß Kriminelle
ungestört von einem in den anderen Staat reisen können. "Grenze" darf nicht
mehr als Schlagbaum verstanden werden, sondern als spezieller
Kriminalitätsraum mit besonders schwerwiegenden Problemen.

Wir können auch mehr für die Fälschungssicherheit unserer Dokumente tun. Es
ist nicht hinnehmbar, daß eine Lohnsteuerkarte heute schon mit einer
standardmäßigen Büroausstattung nachgemacht und als Legende für eingeschleuste
illegale Arbeitskräfte verwendet werden kann; für Kfz-Papiere gilt ähnliches,
deshalb werden wir sie jetzt verbessern.

Wir müssen den häufig beklagten Vorsprung des organisierten Verbrechens vor
der staatlichen Bekämpfung verkleinern. Bei der Knappheit der Mittel kann das
nicht allein durch mehr Geld, sondern muß auch durch noch kreativere
Organisation der polizeilichen Arbeit erreicht werden. Weniger Routine und
Bürokratie, mehr Erfindungsreichtum und Beweglichkeit sind angesagt.

– Gegen grenzüberschreitende Verbrechen helfen nicht stationäre
BGS-Aktivitäten, sondern spezialisierte und mobile Fahndungseinheiten von
Grenz- und Landespolizei.

– Wenn illegale Arbeit verbrecherisch organisiert wird, müssen wir vermehrt
Baustellen und gastronomische Betriebe kontrollieren, wo sie bevorzugt
stattfindet. Arbeitsämter und Sozialversicherungen sind plötzlich mit ganz
neuen Facetten ihrer Tätigkeit gefordert, Gewerbeaufsicht muß offensiv
dazutreten.

– Die Polizei muß auf Flohmärkte gehen – denn irgendwo werden ja die
gestohlenen Autoradios verkauft.

– Tankstellen an der Grenze, die erfahrungsgemäß Anlaufpunkte für
Kriminalität sind, verdienen verstärkte Aufmerksamkeit.

– Auch die spontane Kontrolle von Kraftfahrzeugen durch die Verkehrspolizei
oder von Personen und Dokumenten können verstärkt genutzt werden.

Sage niemand, der Staat habe keine Chancen, mit dem Krebsübel fertig zu
werden. Aber er muß es in seiner neuen Dimension erkennen und anpacken; der
bequeme Staat und der bequeme Bürger haben tatsächlich keine Chancen in diesem
unerfreulichsten Wettlauf innerhalb der modernen Gesellschaft.

Insgesamt müssen wir das Risiko für die Organisierte Kriminalität deutlich
erhöhen. Wir müssen die Zähne zeigen. Wir müssen den Kriminellen klar machen,
daß dieser Staat entschlossen und in der Lage ist, die Sicherheit seiner
Bürger zu schützen und die Glaubwürdigkeit und Wirksamkeit seiner
Institutionen nicht beschädigen zu lassen. Dazu gehört es natürlich auch, daß
ein Täter die Quittung für sein Handeln schneller ausgestellt bekommt als
bisher und daß er die Bestrafung auch empfindlich spürt.

Es ist überhaupt nicht hinnehmbar, daß Polizeibeamte in engagierter,
schwieriger und oftmals gefährlicher Arbeit über Jahre hinweg Organisierte
Kriminalität aufdecken, daß umfangreichste Anklagen geschrieben werden und daß
die Verfahren dann endlose Jahre dauern. Es darf einfach nicht sein, daß
Rauschgifthändler, die polizeilich überführt sind, die bereits lange in
Untersuchungshaft sitzen, am Ende wieder entlassen werden müssen, weil die
Justizpolitik eines Bundeslandes nicht in der Lage ist, die Arbeit effizient
zu organisieren.

Und es unterliegt keinem Zweifel, daß der in Deutschland praktizierte
Strafvollzug gegenüber ausländischen Straftätern in der Organisierten
Kriminalität – verglichen mit den Lebensbedingungen in diesen Ländern – kaum
noch einen der deutschen Strafzwecke erfüllt. Das gilt insbesondere für solche
ausländische Straftäter, die bereits mit schwerkriminellen Absichten – etwa im
Drogenbereich – nach Deutschland gekommen sind, aber nicht auf Dauer hier
leben wollen. Der deutsche Strafvollzug wird von ihnen als erträgliche,
vorübergehende Unterbrechung ihrer kriminellen Laufbahn angesehen. Auch hier
muß angesetzt werden, zum Beispiel durch verstärkte Überstellung von in
Deutschland verurteilten Ausländern zur Verbüßung der Haftstrafen im
jeweiligen Heimatland, die dort allerdings sichergestellt sein muß.
Auslieferung darf nicht zur Gnade werden.

Die Verantwortung der Bundesregierung bei der Bekämpfung der Organisierten
Kriminalität besteht vor allem darin, daß das gesetzliche Rüstzeug dafür stets
auf dem neusten Stand ist. Die Bundesregierung hat hierfür in den letzten
Jahren eine ganze Reihe entscheidender Verbesserungen auf den Weg gebracht und
eine konsequente Politik gegen die Organisierte Kriminalität entwickelt:

Mit den im Gesetz zur Bekämpfung des illegalen Rauschgifthandels und anderer
Erscheinungsformen der Organisierten Kriminalität (OrgKG) bereits 1992
geschaffenen Regelungen über den erweiterten Verfall und die Vermögensstrafe
kann Straftätern das Vermögen, das sie illegal erlangt haben, wieder genommen
und damit zugleich ihre Basis für die Begehung weiterer Straftaten entzogen
werden.

Die Rechtsprechung hat die praktische Anwendbarkeit arg eingeschränkt; wir
werden nachbessern: Die Möglichkeit der vorläufigen Sicherstellung von
Verbrechensgewinnen zum Zwecke des Verfalls oder der Einziehung soll durch die
Herabsetzung der Verdachtsschwelle vom dringenden auf den einfachen
Tatverdacht erheblich erleichtert werden. Es wird dann nicht mehr erforderlich
sein, daß schon im polizeilichen Ermittlungsverfahren quasi nachgewiesen
werden muß, aus welcher Vortat das Geld stammt.

Mit dem Geldwäschegesetz vom November 1993 ist eine weitere wichtige und
bereichsspezifische Ergänzung des Bekämpfungsinstrumentariums dazugetreten.
Mit diesem Gesetz haben wir zum ersten Mal im deutschen Strafrecht einen
Wirtschaftszweig in einem ganz erheblichen Umfang in die Bekämpfung der
Kriminalität verpflichtend miteinbezogen. In meinen Augen sind die Resultate
dieser Kooperation zwar besser, als sie in der Öffentlichkeit bisher
dargestellt wurden, aber im ganzen ungenügend, weshalb wir das Gesetz jetzt
entscheidend verschärfen wollen. Ich bin hier für alle Vorschläge offen, die
in den verbindlichen Grenzen der Verfassung zur verbesserten Sistierung
verdächtiger Vermögen führen können.

Ende 1994 haben wir mit dem Verbrechensbekämpfungsgesetz weitere wichtige
Maßnahmen auf den Weg gebracht. Dazu gehören die Verbesserung der
Gewinnabschöpfung bei Schutzgelderpressungen, die Verschärfung der
Vorschriften gegen das professionelle Schlepperunwesen und die Einführung der
Kronzeugenregelung für organisiert begangene Straftaten, von der ich mir auf
längere Sicht ähnlich positive Erfahrungen verspreche, wie sie mit der
Kronzeugenregelung in Italien bereits sichtbar geworden sind.

Durch die Fernmeldeverkehr-Überwachungsverordnung haben wir die Betreiber
neuer Kommunikationsnetze und die Anbieter neuer Telekommunikationsdienste
verpflichtet, Überwachungsmöglichkeiten schon im Planungsstadium zu
berücksichtigen. Betreiber, die Verschlüsselungen anbieten, haben entweder
Klartext zu liefern oder die zur Entschlüsselung erforderlichen Informationen
zur Verfügung zu stellen. Dies Beispiel belegt, wie ständig neue
Aktivitätsfelder der Verbrechensbekämpfung dienstbar gemacht werden müssen.

Mit den Kabinettsentscheidungen vom 19. Juni 1996 hat die Bundesregierung die
Grundlage dafür gelegt, daß das Rechtsinstrumentarium zur Bekämpfung der
Organisierten Kriminalität à jour gehalten werden kann.

Mit dem Eckpunktepapier zur elektronischen Überwachung von
Verbrecherwohnungen wird ein jahrelanger Diskussionsprozeß mit einem
vernünftigen Ergebnis abgeschlossen. Angesichts der dramatischen
Gefährdungslage kann der Staat auf diese einfachen technischen Möglichkeiten
zur Verbrechensbekämpfung nicht verzichten.

Zur verbesserten Bekämpfung der Korruption und der Wirtschaftskriminalität
haben wir sowohl strafrechtliche als auch dienstrechtliche Maßnahmen
beschlossen, die jetzt im Parlament verabschiedet werden. Entscheidend: Blick
und Strafe sind verstärkt auch auf den "Bestecher" zu richten, der oft
Millionen verdient.

In einem engen Zusammenhang mit dem 1994 verabschiedeten
Verbrechensbekämpfungsgesetz und den aktuellen Maßnahmen zur Bekämpfung der
Organisierten Kriminalität steht auch das bereits in der parlamentarischen
Beratung befindliche Gesetz über das Bundeskriminalamt, das nunmehr rasch
verabschiedet werden soll. Dieses Gesetz ist für das Zusammenwirken und den
Aufbau der Sicherheitsbehörden in Deutschland unverzichtbar. Es wird für das
Bundeskriminalamt einen verläßlichen Rechtsrahmen für seine vielfältigen
Aufgaben als Zentralstelle, als Strafverfolgungsbehörde und für den Bereich
des Personen- und des Zeugenschutzes bereitstellen.

Alle gesetzgeberischen Anstrengungen bewirken indessen für sich alleine noch
nicht genug. Auch wenn das gesamte Handwerkszeug stimmt, muß es zielführend
und sachkundig eingesetzt werden, damit Erfolg erzielt werden kann. Noch
einmal zurück zur Praxis. Es kommt entscheidend darauf an, daß auch die
Vollzugsanstrengungen in den Ländern dem gesetzgeberischen Instrumentarium
entsprechen. Hierin liegt für Deutschland als föderativem Staat vielleicht die
wichtigste Bewährungsprobe bei der Kriminalitätsbekämpfung. Das Miteinander in
der Verbrechensbekämpfung von Bund und Ländern darf nicht durch
Provinzialismus gestört werden. Wenn rumänische Einbrecherbanden über
Ländergrenzen hinweg ihr Unwesen treiben, darf die Reaktion der Polizei nicht
primär in einer längeren Diskussion darüber bestehen, wer für die
übergreifende Informationssammlung und -auswertung zuständig ist und wessen
System dafür am besten taugt.

Die Länder müssen die Ausstattung und Organisation ihrer Polizeikräfte
jederzeit kritisch überprüfen und anpassen. Wenn etwa beklagt wird, daß die
Erfolge bei der Geldwäschebekämpfung und Gewinnabschöpfung zu gering sind und
die sichergestellten Geldsummen in keinem Verhältnis zu den geschätzten
Gewinnen der Organisierten Kriminalität stehen, dann darf nicht andererseits
die personelle Ausstattung der Finanzermittlungsdienststellen in den Ländern
Not leiden. Wenn wir alle die Geldwäschebekämpfung als einen neuen Ansatz
verstehen, um auch in die Strukturen der Organisierten Kriminalität
einzudringen, dann müssen für diese neue Aufgabe auch Kräfte umgeschichtet
oder neu geschaffen werden.

Eine ganz besondere Rolle bei der Umsetzung der Vollzugsanstrengungen spielt
die Justiz. Sie muß sich selbst nach ihrem Eigenverständnis fragen und fragen
lassen. Die Justiz ist ein ganz entscheidender Teil der öffentlichen
Infrastruktur zur Verteidigung der inneren Sicherheit. Das bedeutet zum
Beispiel, daß die Justiz Strafrahmen auch ausschöpfen muß, denn Organisierte
Kriminalität ist dem Resozialisierungsgedanken nur sehr begrenzt zugängig.
Kann man einen vietnamesischen Zigarettenschieber mit Geldstrafen beeindrucken
– Nein! Paßt auf ausländische Kriminelle die gewohnte großzügige Auslegung des
"Wohnsitz"-Begriffs im Haftrecht – Nein! Mußte die Frankfurter
Brechmittel-Entscheidung so lauten - Nein! Muß eine Einreiseverweigerung im
Flughafen-Transit bei jederzeitiger Ausreisemöglichkeit und selber
vernichteten Ausweispapieren als Haft betrachtet werden – Nein! Auf gar keinen
Fall darf es soweit kommen, daß polizeilich überführte Täter freigelassen
werden, weil die Justizorganisation unzureichend ist. Und die Justiz muß neues
Handwerkzeug auch anwenden: Warum wirkt das "Beschleunigte Verfahren" im
wesentlichen nur in zwei Bundesländern?

Die politischen und polizeilichen Aufgaben der internationalen
Verbrechensbekämpfung kann heute kein Staat mehr für sich allein lösen.
Internationale Zusammenarbeit ist eine ganz wesentliche Voraussetzung für den
Erfolg bei der Bekämpfung der Organisierten Kriminalität. Ich setze mich
deshalb mit großem Nachdruck für eine weitere Verstärkung der polizeilichen
und justitiellen Zusammenarbeit sowohl auf Regierungsbasis wie bei Europol als
auch im Rahmen des Schengener Übereinkommens und der Europäischen Union ein.
Auch Vorkommnisse wie der kürzliche Auslieferungsfall mit Portugal dürfen im
geeinten Westeuropa nicht mehr geschehen. Und es kann bestimmt keine
Erweiterung von Schengen aus politischen Gründen zu Lasten von
Sicherheitsargumenten geben.

Von entscheidender Bedeutung ist für mich auch der bilaterale Ansatz der
konkreten Polizeizusammenarbeit in grenzüberschreitenden Fallkomplexen. Wir
haben deshalb im Verhältnis zu den Staaten Mittel- und Osteuropas mit einer
Reihe von Regierungsabkommen über die Zusammenarbeit bei der Bekämpfung der
Organisierten Kriminalität, des Terrorismus und anderer Straftaten von
erheblicher Bedeutung hierfür eine Grundlage geschaffen.

Zum bilateralen Ansatz gehört auch die Arbeit unserer Verbindungsbeamten, die
wir inzwischen in 31 Länder entsandt haben. Sie verkörpern förmlich diese
internationale Zusammenarbeit, weil sie das konkrete Miteinander in vielen
Fällen erst richtig zum Laufen bringen. In den komplexen Strukturen der
heutigen Staatsorganisationen sind sie unverzichtbar, weil sie uns das
Verständnis für die Besonderheiten der Partnerpolizeien vermitteln. Sie sind
zudem ein polizeiliches Instrument, mit dem man sofort auf neue Formen der
Kriminalität, wie etwa den sexuellen Mißbrauch von Kindern, wie wir ihn in
südostasiatischen Staaten leider erleben, reagieren kann. Im Zusammenwirken
mit den Polizeien der Gastländer haben sie hierbei jüngst die ersten guten
Erfolge erzielt.

Zum bilateralen Ansatz gehört weiter, daß wir die Staaten Mittel- und
Osteuropas in die Lage versetzen, ihre Polizeien so auszurüsten und so
auszubilden, daß eine wirksame Kriminalitätsbekämpfung dort nicht schon an
Mängeln der Ausrüstung und der Ausbildung scheitert. Die Bundesregierung hat
deshalb die polizeiliche Ausstattungs- und Ausbildungshilfe verstärkt. Für den
Zeitraum von 1995 bis 1998 haben wir hierfür circa 40 Millionen D-Mark
bereitgestellt.

Im Gegenzug für diese Hilfen erwarten wir von unseren Partnern, daß sie auf
unsere Notwendigkeiten eingehen und aktiv und verläßlich mit uns kooperieren.
Auch die Bundesländer sollten hier verstärkt Geld und Mühe investieren; der
"Export von Polizei-Know-how" ist von Nutzen für beide Seiten. Daß dies
funktioniert, haben wir am Beispiel Rumäniens gesehen. Auch mit Hilfe unseres
Verbindungsbeamten und durch die aktive Mitwirkung der rumänischen Polizei
konnten viele der Straftaten rumänischer Banden in Deutschland aufgeklärt
werden.

Innerhalb der Europäischen Union ist es eines unserer wichtigsten Ziele, über
die Schengener Kooperation hinaus die Zusammenarbeit weiter zu verstärken. Der
erste große Schritt auf diesem Weg ist der Aufbau von Europol. Mit der seit
Anfang 1994 bestehenden Vorläuferinstitution zu Europol haben wir schon gute
Erfahrungen gemacht. Bereits in ihrem ersten Jahr hat die Europol-Drogenstelle
in vielen hundert Fällen nationale Ermittlungen durch Informationsaustausch
gefördert. Auf unsere Initiative wurde im März 1995 das
Mandat der Drogenstelle auch auf Nuklearkriminalität, illegale Einschleusung
und Kfz-Verschiebung erweitert, alles Kriminalitätsbereiche, von denen die
Mitgliedstaaten besonders betroffen sind.

Sobald die von den Parlamenten noch zu ratifizierende Europol-Konvention in
Kraft getreten ist, verfügen die Mitgliedstaaten der Europäischen Union über
ein gemeinsames Instrument für den Informationsaustausch, vor allem aber auch
für die Analyse kriminalpolizeilicher Informationen auf der Grundlage eines
zentralen europäischen Datenbestandes. Damit wird die Möglichkeit geschaffen,
Entwicklungen und Organisationsstrukturen der international operierenden
Schwerstkriminalität sowohl in den EU-Staaten als auch über die Grenzen hinaus
auf der Grundlage eines aus vielen Quellen zusammengeführten Datenmaterials zu
analysieren. Europol ist für die Sicherheitsstrukturen in Europa von
entscheidender Bedeutung. Es mutet sonderbar an, wie über nebensächliche
Details mit nationalstaatlicher Inbrunst gestritten wird.

Die Bewältigung der Organisierten Kriminalität wird in der Zukunft nicht
einfacher werden. Wir dürfen bei allen Anstrengungen, die wir im Rahmen der
Gesetzgebung auf nationaler oder europäischer Ebene oder auch auf der
Grundlage bilateraler Vereinbarungen zur Verbrechensbekämpfung unternehmen,
nicht vergessen, daß Kriminalität allgemein und Organisierte Kriminalität als
eine ihrer gefährlichsten Ausprägun- gen stets auch abhängige Größen sind. Auf
die Entstehungsfaktoren, den andauernden Umbruch im Osten unseres Kontinents,
den tiefgreifenden gesellschaftlichen Wandel der westlichen
Wohlstandsgesellschaften und die alles umfassende Globalisierung durch Technik
und Verkehr habe ich zu Beginn hingewiesen. Repressive, polizeiliche und
strafrechtliche Maßnahmen werden zur Eindämmung und Zurückdrängung von
Kriminalität deshalb letztlich allein niemals ausreichen. Unverzichtbar ist
es, daß die gesellschaftspolitische Auseinandersetzung über Kriminalität, ihre
Bekämpfung und ihre Ursachen vorangetrieben wird.

Auch der Bürger kann dabei viel bewirken: Er kann sich zwar leider vor der
Bedrohung durch eine schwere Straftat nur wenig selber schützen, aber er kann
durch seine Haltung und Meinung sehr zu einem Klima beitragen, in dem solche
Straftaten mit einer Entschlossenheit bekämpft und zurückgedrängt werden. Der
Kampf gegen die Organisierte Kriminalität kann in Deutschland von Staat,
Bürgern und Gesellschaft gewonnen werden, wenn er eindeutig und offensiv
geführt wird.