"Das Brandenburger Tor ist keine Werbekulisse"

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Grütters-Interview "Das Brandenburger Tor ist keine Werbekulisse"

Kulturstaatsministerin Monika Grütters ist nun hundert Tage im Amt. Sie spricht über Einheitsdenkmäler, den endlosen Ärger mit Berlin und den fahrlässigen Umgang mit dem Wahrzeichen der Hauptstadt.

  • Interview mit Monika Grütters
  • Welt

Das Interview im Wortlaut:

Die Welt: Frau Grütters, im Herbst werden wir den 25. Jahrestag des Mauerfalls begehen. Weder das in Berlin noch das in Leipzig geplante Denkmal, die an diesen Glückstag der deutschen Geschichte erinnern sollen, ist auch nur im Bau, obwohl der Bundestag 2007 beziehungsweise 2008 den Bau dieser Einheits- und Freiheitsdenkmäler beschlossen hat. Woran hakt es denn da?

Monika Grütters: Der Bau von Denkmälern ist immer schon zeitintensiv und kontrovers gewesen. Bei den Freiheits- und Einheitsdenkmälern in Berlin und Leipzig waren die Wettbewerbe sehr anspruchsvoll. In Berlin musste der Wettbewerb sogar wiederholt werden, weil der erste offene Wettbewerb kein brauchbares Ergebnis brachte. Danach gab es einen eingeschränkten zweiten Wettbewerb. Darin liegt zum Teil die Antwort auf Ihre Frage.

Die Welt: Aber das ist doch auch schon wieder Jahre her ...

Grütters: Der schließliche Siegerentwurf von Milla & Partner, an dem auch Sasha Waltz mitgewirkt hat, also die Schale ...

Die Welt: Manche sagen "Salatschüssel".

Grütters: Andere reden von der "Einheitsschaukel", solche Bezeichnungen mache ich mir ausdrücklich nicht zu eigen. Der Entwurf "Bürger in Bewegung" ist sowohl technisch als auch ästhetisch sehr anspruchsvoll. Deshalb musste er präzisiert werden. In der Folge der Konkretisierung hat sich Sasha Waltz intern zurückgezogen. Milla & Partner führen das Projekt jetzt fort.

Die Welt: Wie weit sind die denn nun?

Grütters: Milla & Partner haben inzwischen praktische Tests durchgeführt, sodass die Sicherheitsverhältnisse, bauliche und andere technische Voraussetzungen genehmigungsfähig sind. Ich bin zuversichtlich, dass diese Anforderungen zügig erfüllt werden. Die Schale wird die Schriftzüge "Wir sind das Volk" und "Wir sind ein Volk" tragen. Allerdings stehen für den weiteren Fortgang noch Genehmigungen der Naturschutzbehörde und des Denkmalamtes aus, beides liegt in der Zuständigkeit des Landes Berlin. Im Sockel des ehemaligen Reiterstandbildes Wilhelms I., auf dem das Einheitsdenkmal errichtet wird, nistet eine seltene Fledermausart. Diese soll nach Vollendung des Baus wieder angesiedelt werden. Falls nicht, werden Ausgleichsmaßnahmen erwartet. Das zweite Problem stellt der Umgang mit den Mosaiken des ehemaligen Kaiser-Wilhelm-Denkmals dar. Ein dritter Punkt betrifft den barrierefreien Zugang zum Denkmal, da geht es zum Beispiel um den Steigungswinkel der Behindertenauffahrt. In all diesen genehmigungsrechtlichen Fragen müssen wir uns eng mit Berlin abstimmen, was nun hoffentlich zügig passiert.

Die Welt: Es gab unter den Siegerentwürfen einen einzigen, der eine figürliche Lösung bot: der kniende Mann von Stephan Balkenhol. Das wäre doch, auf dem Sockel eines ehemaligen Reiterdenkmals, die richtige Mischung aus Pathos und Ironie. Kaum jemand hat damit gerechnet, dass dieser Entwurf schließlich den Zuschlag des Kulturstaatsministers bekommen könnte. Warum ist das so, warum hat die Variation der klassischen Denkmalform keine Chance? Warum muss man sich bei unseren Einheitsdenkmälern hart am Rand der Volksbelustigung bewegen?

Grütters: Ich möchte das damalige Auswahlverfahren nicht nachträglich kommentieren. Allerdings hatte ich bei der Balkenhol-Figur eine ganz andere Assoziation als Sie: Auf mich hat sie eher wie ein Delinquent gewirkt, der seinem Ende entgegensieht.

Die Welt: Ach ja?

Grütters: Das war mein allererster Gedanke. Aber auch die von Ihnen bemerkte Nähe von Pathos und Ironie kann ich nachvollziehen. Wie auch immer: Was diese Ausschreibung von Anfang an beschwert hat, war die Erwartung, alle Freiheitstraditionen der deutschen Geschichte in einem Entwurf zu würdigen.

Die Welt: In Leipzig ist die Situation die, dass der Wettbewerb nach einem Beschluss des Oberlandesgerichts Dresden teilweise wiederholt werden muss. Im ersten Durchgang hatte ein Entwurf den Zuschlag bekommen, gegen den die Bevölkerung Sturm lief, auch weil er an einem Ort realisiert werden sollte, der mit der Geschichte der Montagsdemonstrationen wenig zu tun hat. Hat der Bund die Möglichkeit und die Absicht, in das Leipziger Verfahren moderierend einzugreifen?

Grütters: Wir setzen mit dem Freiheits- und Einheitsdenkmal einen Bundestagsbeschluss um. Bislang gilt folgende Finanzierungsregelung: Der Bund gibt fünf Millionen, das Land Sachsen 1,5 Millionen, die Stadt Leipzig steuert das Grundstück bei und trägt die Folgekosten. Bei einer Nichtrealisierung des Denkmals müsste Leipzig das bisher verausgabte Geld zurückzahlen. Nach dem letzten Gerichtsurteil zu dem Wettbewerb liegt es an der Stadt, uns nun mitzuteilen, wie sie weiter verfahren möchte.

Die Welt: Woher kommt denn die Misere bei unseren positiven Nationaldenkmälern?

Grütters: Na ja, bei anderen haben wir uns auch schwergetan, denken Sie nur an das Mahnmal für die ermordeten Juden Europas. Aber in allen Fällen entfalten doch auch die Debatten darüber einen Eigenwert..

Die Welt: Das waren aber wichtige Selbstverständigungsdebatten. Bei den Einheits- und Freiheitsdenkmälern sehen wir Verkrampftheit. Haben wir verlernt, die positiven Momente unserer Geschichte herauszustellen?

Grütters: Das sehe ich nicht. Natürlich: Wir haben Erfahrungen gesammelt im Duktus der Aufarbeitung unserer Abgründe. Aber man darf nicht vergessen, dass in vielen Fällen des Gedenkens, beim Holocaust-Mahnmal wie bei den Einheitsdenkmälern, zuerst bürgerschaftliches Engagement stand. Die Initiative kam aus der Gesellschaft. Der Staat hat dies dann aufgenommen. Ich will Ihnen ein aktuelles Beispiel geben, die Ausstellung zur Friedlichen Revolution der Havemann-Gesellschaft, die mit großem Erfolg am Alexanderplatz gezeigt wurde. Sie wird überwiegend aus Mitteln meines Hauses rekonstruiert und soll künftig auf dem Gelände der früheren Stasi-Zentrale in der Berliner Normannenstraße gezeigt werden.

Die Welt: Frau Grütters, Sie haben noch einmal nachdrücklich für einen Umzug der alten Meister aus der Gemäldegalerie am Kulturforum auf die Museumsinsel plädiert und damit eine Diskussion neu entfacht, die im letzten Sommer abgeschlossen schien, als die Stiftung Preußischer Kulturbesitz nach einer Machbarkeitsstudie einem schnellen Neubau für die Kunst des 20. Jahrhunderts am Kulturforum Vorrang einräumte. Warum haben Sie diese Kiste noch einmal geöffnet?

Grütters: Zwei Dinge bewegen mich: Zunächst einmal muss ich auf den dramatischen Platzmangel für die Kunst des 20. Jahrhunderts hinweisen. Die Dramatik dieser Situation wird weithin unterschätzt. Wir können nicht einmal 20 Prozent unserer Bestände zeigen. Zudem werden uns wertvollste Sammlungen angeboten, und wir haben keinen Platz für sie. Das Zweite ist: Es gibt seit den Neunzigerjahren einen Masterplan der Stiftung Preußischer Kulturbesitz zur Ordnung der Sammlungen. Und danach gehört die Malerei der alten Meister auf die Museumsinsel. Bei der Malerei handelt es sich immerhin um die Königsdisziplin der Kunst dieser Epochen. Diese Zusammenhänge wollte ich unbedingt noch einmal in die Diskussion einbringen.

Die Welt: Es gibt zwei Argumente dagegen, diese Diskussion noch einmal aufzurollen. Das eine ist pragmatisch und sagt, wenn die Debatte noch einmal von vorne losgeht, gelingt noch nicht einmal die kleine Lösung des Neubaus am Kulturforum. Das andere ist grundsätzlicher. Es sei der alten Malerei nicht angemessen, im Bode-Museum mit den Skulpturen vereinigt und so zum Anschauungsmaterial in seinem kulturhistorischen Kontext degradiert zu werden, heißt es. Außerdem müssten sie ja aufgeteilt werden zwischen dem Bode-Museum und einem dann nötigen Neubau am Kupfergraben.

Grütters: Die von der Stiftung Preußischer Kulturbesitz in Auftrag gegebene Machbarkeitsstudie beschreibt die möglichen Varianten. Die kostengünstigste mit dem Neubau am Kulturforum an der Sigismundstraße ist nur eine davon. Die Studie ist eine hervorragende Grundlage für eine Debatte im Parlament. Man darf nicht vergessen: Es hat im Bundestag noch überhaupt keinen Beschluss gegeben. Die Entscheidung ist offen. Und solange sie offen ist, möchte ich, dass über alle drei Varianten diskutiert wird. Das akute Problem ist der Platzmangel für die Kunst des 20. Jahrhunderts. Die mittelfristige Perspektive der Vervollständigung der Museumsinsel durch die Malerei der alten Meister darf aber nicht verloren gehen. Und wie die Malerei und die Skulpturen dann präsentiert werden, das entscheiden die Museumsfachleute, nicht die Politik.

Die Welt: Haben Sie denn Signale aus dem Parlament empfangen, dass überhaupt eine Aussicht besteht, über eine solche "große Lösung" zu reden?

Grütters: Es musste erst einmal ein Problembewusstsein geweckt werden. Das ist schon eine enorme Herausforderung. Es geht ja nicht nur darum, ob wir am Kulturforum an der Sigismundstraße bauen oder an der Potsdamer Straße, was teurer wäre, aber städtebaulich interessanter. Wir stehen ja auch noch vor einem immensen Sanierungsstau bei der Preußenstiftung. Wir reden über 1,3 Milliarden Euro, die der Bundestag allein für die Sanierung der Museumsinsel zur Verfügung gestellt hat und die sukzessive abfließen. Natürlich ist es da nicht einfach, auch noch für einen Neubau zu plädieren und längerfristige Perspektiven offenzuhalten. Aber als Kulturstaatsministerin habe ich mir genau dies zu Aufgabe gemacht. Eines darf man dabei nicht vergessen: Wenn der Bund am Kulturforum 130 Millionen oder mehr in die Hand nimmt, dann muss auch das Land Berlin "in die Puschen kommen" und den unhaltbaren städtebaulichen Zustand dort beenden.

Die Welt: Sie scheinen auf Berlin nicht gut zu sprechen zu sein ...

Grütters: In der Kulturpolitik arbeiten wir sehr gut zusammen, aber bei manchen Projekten vor allem in der Stadtplanung ist mir das Land etwas zu schwerfällig …

Die Welt: Sie haben sich gerade sehr kritisch über die Fashion Week geäußert. Man dürfe den Pariser Platz und das Brandenburger Tor nicht zur Kulisse für Sponsoren machen. Demnächst tritt mit Tim Renner in Berlin ein Kulturstaatssekretär sein Amt an, der aus der Kreativwirtschaft kommt. Wollten Sie klarstellen, dass Kreativwirtschaft und Kultur zwei Paar Schuhe sind?

Grütters: Die Fashion Week an diesem Ort – das ist für mich ein unwürdiger Umgang mit unserem wichtigsten Nationaldenkmal. Ich traue Herrn Renner zu, dass er alternative Standorte ausfindig macht. Über die Bedeutung der Kreativwirtschaft im Allgemeinen und der Mode im Besonderen bin ich mir durchaus im Klaren und werde mich nicht darauf einlassen, Kreativwirtschaft und klassische Kultur gegeneinander auszuspielen. Die relative Lässigkeit, die Berlin im Umgang mit dem Brandenburger Tor zeigt, hat mich allerdings immer schon gestört. Wir haben unser Gespräch mit den Einheits- und Freiheitsdenkmalen begonnen und der Schwierigkeit, da eine richtige Haltung zu finden. Ein pfleglicherer Umgang mit unserem bedeutenden nationalen Monument, dem Brandenburger Tor, würde uns da voranbringen. Das Tor ist in den Augen der Welt immer schon das Einheits- und Freiheitsdenkmal gewesen. Wenn man es allerdings zur Werbekulisse herabsetzt, muss man sich nicht wundern, dass das Gefühl dafür verloren geht.

Das Interview führte Eckhard Fuhr für die

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