Kultur ist mehr als alles andere ein Wert an sich

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Rede Kultur ist mehr als alles andere ein Wert an sich

In ihrer Rede vor dem Deutschen Bundestag ging Kulturstaatsministerin Monika Grütters auf Schwerpunkte ihrer kulturpolitischen Arbeit ein, unter anderem die Verbesserung der Rahmenbedingungen für Künstlerinnen und Künstler sowie Provenienzrecherche und Restitution.

Mittwoch, 29. Januar 2014 in Deutscher Bundestag

- Es gilt das gesprochene Wort. -

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren!

Von dem wunderbaren, gelegentlich ein wenig zur Satire neigenden Mark Twain stammt der Satz: "Kultur ist das, was übrig bleibt, wenn der letzte Dollar ausgegeben ist". Hier ist er mal ganz nüchtern gewesen – und in der Tat – Mark Twain hat Recht: Kultur ist mehr als alles andere ein Wert an sich.

Geld ist nicht alles, aber ohne Dollars und Euros geht es halt auch nicht. Zum Glück haben Bundestag und Bundesregierung da in den letzten Jahren ja deutlich Flagge gezeigt und den Kulturetat kontinuierlich erhöht. Und ich muss sagen, es beruhigt mich schon, dass wir uns im Koalitionsvertrag darauf verständigt haben, dass dies auch in Zukunft so bleiben soll...

Gerade in Zeiten ökonomischer Krisen, wie wir sie nicht nur in Europa sondern weltweit seit Jahren erleben, wird die Wertegemeinschaft, wird das, was wir "Kulturprojekt Europa" nennen, immer wichtiger. Und wo, wenn nicht in der Kultur, können Antworten gesucht werden auf die Frage, was es ist, das uns zusammen hält. Welche Werte, gerade am Beginn eines so intensiven Gedenkjahres wie 2014, erkennen wir als gemeinsame Fundamente an?

Eine Kulturnation wie Deutschland, die in ihren Traditionen so reich und in ihren Brüchen radikaler ist als alle anderen, muss sich mehr denn je nach ihrer Rolle im heutigen und im zukünftigen Europa fragen. Antworten auf diese Fragen sind wir schuldig vor Deutschland, vor Europa und vor den Augen der Welt.

Ein Blick auf diese, unsere so sperrige Geschichte macht deutlich, dass die Kultur in den vergangenen Jahrhunderten in Deutschland immer eine besondere Rolle gespielt hat. Sie war und ist das geistige Band, das uns zusammenhält. Deutschland war eben zuerst eine Kultur-, dann eine politische Nation. Und nationale Identität wächst eben auch zu allererst aus dem Kulturleben eines Landes.

Es waren die Zusammenbrüche unserer Geschichte mit zwei Diktaturen in einem Jahrhundert, aus denen wir eine Lehre gezogen haben: Bereits im Artikel 5 Absatz 3 unseres Grundgesetzes heißt es: "Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei." Das ist der oberste Grundsatz jeder verantwortlichen Kulturpolitik. Denn frei sein können Kunst und Wissenschaft nur, wenn der Staat ihre Freiheiten schützt.

Diese staatliche Fürsorge für die Kultur, ihre Freiheit, die mit dem Mut zum Experiment auch immer das Risiko des Scheiterns in Kauf nimmt, dafür aber auch immer wieder weltweit beachtete Leistungen ermöglicht hat, dieses hartnäckige Engagement für die Künste hat entscheidenden Anteil am mittlerweile wieder hohen Ansehen Deutschlands in der Welt. Eine solche Kultur ist eben nicht das Ergebnis des Wirtschaftswachstums, sondern sie ist dessen Voraussetzung.

Kulturelle Existenz in Deutschland ist keine Ausstattung, die eine Nation sich leistet, sondern sie ist eine Vorleistung, die allen zugute kommt. Eine so verstandene Kultur ist kein dekorativer Luxus, sondern sie ist Ausdruck eines menschlichen Grundbedürfnisses, nicht allein Standortfaktor, sondern Ausdruck von Humanität.

Deshalb ist es mir besonders wichtig, neben der Fürsorge für unser kulturelles Erbe, also für die Institutionen, auch ein besonderes Augenmerk auf die Künstler, auf die Kreativen zu legen; auf die Rahmenbedingungen, in denen sie leben. Denn diese Künstler sorgen für immer wieder herausragende Leistungen, für eine Kultur, die auch einmal wehtun und unbequem sein darf. Aber eine vitale Gesellschaft braucht das kritische Korrektiv, auch und gerade wenn es uns zum Nachdenken und zur Kritik herausfordert.

Ein solches Verständnis von Kultur verbietet ein staatliches Kriterienkorsett. Künstler brauchen keine autoritativen Vorgaben. Was sie brauchen, sind Inspirationen und Anstöße und den Diskurs.
Lassen Sie mich als Münsteranerin in Berlin und als Berlinerin in diesem Amt ein Wort zu Berlin sagen: Berlin ist die Hauptstadt.

Was in der Hauptstadt kulturell gelingt, wird in den Augen der Welt dem ganzen Land gutgeschrieben. Was dort misslingt, dafür wird, von außen jedenfalls, das ganze Land verantwortlich gemacht. Kulturpolitik in Berlin ist also, ob sie es will oder nicht, auch Bundespolitik. Und die Bundes-Kulturpolitik in und für Berlin ist Ausdruck der Anerkennung der besonderen Rolle der Hauptstadt für die Nation.

In der Kulturpolitik muss den Ländern klar gemacht werden, dass Berlin kein konkurrierendes Bundesland ist, sondern unser aller dienender Mittelpunkt. Berlin selbst muss dem Bund klarmachen, das er außenpoltisch als erster von einer Kulturblüte seiner Hauptstadt profitiert. Und ich würde mich schon freuen, wenn Berlin tatsächlich auch einmal "Danke" sagen würde – oder einfach nur erkennen ließe, dass Hauptstadt sein auch eine dienende Funktion ist…

Um also allen Mutmaßungen entgegen zu treten: Ich verstehe mich als Kulturstaatsministerin für ganz Deutschland, nicht nur für Berlin!

Deshalb hat mich meine erste Dienstreise aus guten Gründen nach Frankfurt geführt und dort nicht in einen Tempel der Hochkultur, sondern ins Jüdische Museum. Dort wird eindrucksvoll an einer kleinen Kammerausstellung gezeigt, dass es den Nazis 1938 nur vordergründig um ästhetische Aspekte ging, als sie die Kunstwerke der Moderne für "entartet" erklärten, sondern dass auch dort das Hauptziel war, jüdische Mitbürger und Akteure aus dem Kunstbetrieb zu entfernen. Umso wichtiger ist es, dass wir uns Fragen der Provinienzrecherche und Restitution, als Rückgabe geraubter Güter, stellen.

Es gehört zu unseren großen Verantwortungen, uns den Folgen unserer Geschichte zu stellen und das geschehene Unrecht nicht fortdauern zu lassen. Es ist schlicht unerträglich, dass sich immer noch Nazi-Raubkunst in deutschen Museen befindet!

Allerdings ist in puncto Provenienzrecherche in den vergangenen Jahren viel geschehen. Die Arbeitsstelle für Provenienzforschung hat 2008 ihre Arbeit aufgenommen, finanziert von meinem Haus und der KSL. Insgesamt flossen seit 2008 14,5 Millionen Euro in die Herkunftssuche. 90.000 Objekte in 67 Museen und mehr als 520.000 Bücher und Drucke in 20 Bibliotheken wurden überprüft. Nach den Erkenntnissen der Koordinierungsstelle in Magdeburg wurden bis September 2013 in Deutschland mehr als 12.200 Objekte zurückgegeben.

Die Koordinierungsstelle Magdeburg und die Arbeitsstelle für Provenienzforschung sowie die "Limbach-Kommission" leisten hervorragende Arbeit. Sie gilt auch im Ausland als vorbildlich. Aber es fehlt ein erkennbarer Ansprechpartner. Darum sollen die Aktivitäten von Bund, Ländern und Kommunen in den Bereichen Provenienzforschung und Restitution künftig gebündelt und nachhaltig ausgebaut werden.

Ich habe dazu bereits Gespräche mit den Ländern aufgenommen – mit durchweg positiven Rückmeldungen. Deutschland darf im Interesse der Überlebenden und ihrer Nachkommen nicht länger zögern. Es geht um mehr als um Kunstobjekte – es geht um großes Unrecht, geraubte Identität und den Verlust von Erinnerung an geliebte Menschen! Keine öffentliche Institution darf sich hier wegducken.

Und bei der Restitution geht es auch nicht in erster Linie darum, materielle Werte zurückzugeben, sondern die Opfer möchten als Opfer anerkannt werden. Sie möchten, dass wir alle die zerstörten Lebensläufe kennen und dass durch diese Anerkennung das Unglück und das Leid, das sie erlitten haben, wenigstens nachträglich sichtbar wird. Es ist unsere moralische Pflicht, genau das zu leisten.

Eines ist klar: Künftig werden die deutschen Museen nicht nur an ihrer Ankaufs- und Ausstellungspolitik gemessen werden, sondern auch daran, wie sie ihre Geschichte und die ihrer Sammlungen aufarbeiten.

Weil das nur gemeinsam gelingt, rangiert für mich die intensive Zusammenarbeit zwischen Bund, Ländern und Kommunen ganz oben auf meiner Agenda.

Ich habe bereits mit der Kultusministerkonferenz vereinbart, dass es zukünftig zweimal im Jahr ein Treffen mit den Länderkulturministern geben soll, und zwar abwechselnd von Bund und Ländern organisiert. Im März lade ich hier nach Berlin ein. Es ist mir ganz besonders wichtig, dass wir dann ausdrücklich auch die Vertreter der kommunalen Spitzenverbände zum Austausch einladen.

Immerhin stehen die Städte und Gemeinden mit 44 Prozent für den größten Anteil am öffentlichen Gesamthaushalt für die Kultur ein! Deshalb werden wir gemeinsam Strategien entwickeln, wie wir unsere kulturelle Infrastruktur in einer sich demografisch und ethnisch gründlich verändernden Gesellschaft entwickeln können. Dazu gehört auch die Stabilisierung der Künstlersozialversicherung.

Denn die Kreativwirtschaft darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass die allerwenigsten Künstler und Kreativen Großverdiener sind. Die Einführung der Künstlersozialversicherung vor 31 Jahren war ein sozial- und kulturpolitischer Meilenstein. Die Künstlersozialkasse garantiert heute ganz wesentlich die soziale Absicherung der freiberuflich tätigen Künstler und Publizisten. Wir dürfen nicht zusehen, wie diese Errungenschaft jetzt beschädigt wird.

Das hat auch etwas mit Gerechtigkeit zu tun. Wer künstlerische Leistungen in Anspruch nimmt, der muss auch dafür Sorge tragen, dass Künstler von ihrer Arbeit nicht nur knapp überleben können, sondern angemessen bezahlt und sozial abgesichert werden. Andererseits sollen die, die regelmäßig die Abgaben entrichten, nicht zu Zahlmeistern werden. Steigende Abgaben heißt schlicht: Es gibt zu viele, die sich drücken. Das können und wollen wir nicht hinnehmen!

Die Künstlersozialversicherung muss wieder auf ein solides Fundament gestellt werden. Ich bin meiner Kollegin Nahles dankbar, dass auch sie die Konsolidierung der Künstlersozialkasse zu ihren wichtigen Aufgaben zählt. Absicherung ist das eine, wichtiger noch ist es aber, dass Künstler von ihrer kreativen Arbeit leben können, auch im digitalen Zeitalter!

In der kommenden Legislaturperiode wird es darum gehen, das Urheberrecht weiter an das digitale Umfeld anzupassen. Es gilt vor allem, den Wert geistigen Eigentums besser zu vermitteln. Künstlerische Leistungen sind im Internet frei verfügbar, das ist unbestritten – umsonst aber dürfen sie nicht sein.

Urheberrechtsverletzungen im Netz verursachen gravierende Schäden – und nicht nur volkswirtschaftlich. Wir wollen darum die Rechtsdurchsetzung konsequent verbessern. Die Rechteinhaber stehen dabei für mich im Mittelpunkt. Ein wesentlicher Schritt ist die Providerhaftung. Darüber hinaus müssen Maßnahmen ins Auge gefasst werden, die bereits in der letzten Legislaturperiode unter dem Stichwort "Dritter Korb" diskutiert worden sind wie zum Beispiel eine bessere Absicherung der Vergütungen durch eine Hinterlegungspflicht.

Die Verbraucher wollen wir nicht sanktionieren, sondern sensibilisieren und aufklären, damit sie besser zwischen legalen und illegalen Angeboten im Netz unterscheiden können. Ich zähle auch hier auf die Unterstützung der Branchen!

Mit den digitalen Techniken sind natürlich nicht nur Risiken verbunden. Sie ermöglichen vielmehr in bisher ungeahnter Weise den Zugang zu Information, zu Kunst, Kultur und Bildung.

Die Digitalisierung von Kulturgut ist eine der zentralen kulturpolitischen Aufgaben – und, das will ich nicht verschweigen! – leider auch eine der teuersten. Verglichen mit Ländern wie Frankreich tut Deutschland noch immer viel zu wenig, das müssen wir selbstkritisch feststellen. Gerade das nationale Filmerbe braucht unmittelbar Hilfe! Das betrifft nicht nur die Digitalisierung, sondern auch die sichere Aufbewahrung. Darum muss dringend das Bundesarchiv als unser nationales Filmarchiv personell und finanziell besser ausgestattet werden.

Die digitale Agenda – ein weites Feld. Rechtliche Rahmenbedingungen für den Umgang mit digitalen Inhalten gehören auch dazu. Ich denke da an das Prinzip der Netzneutralität oder Regeln zur Auffindbarkeit von Inhalten im Netz. Doch was uns am meisten bewegt, ist die Frage nach den gesellschaftlichen Veränderungen. Als Kulturpolitikerin ist mir dabei besonders wichtig, dass diese Wertediskussion, sich nicht im Rausch des technisch Machbaren verliert.

Gönnen Sie mir zum Schluss ein Wort zum größten Kulturprojekt Europas: Das entsteht in Deutschlands Mitte, auf dem zentralen Platz der Republik.

Meine Damen und Herren,
das Humboldt-Forum ist – Sie können es sehen – schon lange kein Luftschloss mehr, sondern fest verankert. Das Fundament steht, der Keller ist gedeckt, und ich traue es der Stiftung Berliner Schloss durchaus zu, dass Ende dieses Jahres der Rohbau steht.

Ich will versuchen, in 10 einfachen Sätzen auszudrücken, warum ich so eine leidenschaftliche Verfechterin des Humboldt-Forums bin:

1) Deutschland hat als einzige Nation der Welt die historische Chance, den zentralen Platz der Republik am Beginn des 21. Jahrhundert neu zu definieren.
2) In einer einzigartigen Verbindung werden die Stiftung Preußischer Kulturbesitz mit der Humboldt-Universität zu Berlin und der Zentral- und Landesbibliothek das Humboldt-Forum in der Mitte der Hauptstadt beherbergen.
3) Hier sollen sich die außereuropäischen Kulturen selbstbewusst und in eigener Regie präsentieren.
4) Die Neugier auf das Fremde, das Andere soll im stadträumlichen Bezug zu den Zeugnissen unserer europäischen Kunst- und Kulturgeschichte gegenüber der Museumsinsel Gestalt annehmen.
5) Es soll um die Betrachtungen der großen Menschheitsthemen wie die Grenzen des Lebens, also Geburt und Tod, wie Gott und die Bedeutung der Religionen, wie Identität und Migration gehen. Hier erfahren wir das, was wir alle über unser Leben wissen wollen.
6) Wir alle erleben immer wieder, was es heißt, einer Minderheit anzugehören – ein Schwabe im Prenzlauer Berg oder eine Katholikin in Marzahn. Aber gerade kosmopolitische Städte sind die Zukunft. Vor allem in Museen kann man das sichtbar machen. Hier müssen wir zeigen: Alle Menschen sind gleich, die Unterschiede sind kleiner als die Gemeinsamkeiten.
7) Es muss endlich eine Vision für Berlin, die Hauptstadt, und für Deutschland als einer der bedeutendsten Kulturnationen der Welt formuliert werden. Dies kann ihren Ausdruck in aufregenden Kunstpräsentationen finden.
8) Wir wollen interdisziplinär und auf hohem Niveau mit unseren Weltklasse-Sammlungen über Europa und die Welt diskutieren.
9) Berlin ist der Sehnsuchtsort, Deutschland ein attraktives Land für die Jugend der Welt – das Humboldt-Forum lädt sie alle ein – denn dort sprechen wir eine neue junge Sprache.
10) Die mit dem Humboldt-Forum verbundene Idee ist einzigartig. Es geht dabei nicht um ein "besseres Völkerkundemuseum", nicht um eine pragmatische Lösung für die weltberühmten Sammlungen außereuropäischer Kunst der Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Es geht vielmehr um neuartige Kunst- und Kulturerfahrungen, um das Wissen über gleichberechtigte Weltkulturen und um neue Kompetenzen im Weltverständnis.

Damit dies gelingt, müssen wir nicht nur das bauliche Entstehen begleiten, sondern vor allem verstärkt die inhaltliche Gestaltung angehen. Damit dieses Haus auch inhaltlich und künstlerisch ein klares Profil entwickeln kann, soll schon weit vor der Eröffnung eine Intendanz eingesetzt werden.

Der Name Humboldtforum steht für die Traditionen der Aufklärung, für die weltoffene und selbstbewusste Annäherung und für das Ideal eines friedlichen Dialogs der Völker. Für diese Ideen müssen wir werben – sie sind von grundlegender Bedeutung für unsere Gegenwart und unsere Zukunft!

Kultur ist ein Modus des Zusammenlebens. Kultur darf, ja, sie muss zuweilen Zumutung sein. Wenn sie darüber hinaus auch noch unterhält – umso besser. Wenn wir dafür Sorge tragen, dann bleibt sie uns – selbst wenn der letzte Dollar ausgegeben ist.