100 Tage gesetzlicher Mindestlohn

Soziale Gerechtigkeit 100 Tage gesetzlicher Mindestlohn

Seit Januar profitieren rund 3,7 Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer von einer verbindlichen Lohnuntergrenze. Das Gesetz sei ein Erfolg, erklärte Bundesarbeitsministerin Nahles in Berlin. "Wir haben keine Arbeitsplatzverluste."

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Bundesarbeitsministerin Nahles besucht die Brasserie 'La Bonne Franquette' in Berlin und lässt sich von der Geschäftsführerin Jana Posdziech (l) die Schichtpläne zeigen.

Brasserie-Inhaberin Jana Posdziech erläutert Ministerin Nahles, wie sie die Arbeitsstunden dokumentiert.

Foto: picture alliance / dpa / Jutrczenka

Mindestlöhne gibt es in fast allen europäischen Staaten. In Deutschland ist er mit dem Gesetz zur Stärkung der Tarifautonomie eingeführt worden. Am 10. April gilt er seit 100 Tagen. Die verbindliche Lohnuntergrenze sorgt dafür, dass ein Arbeitseinkommen zum Leben reicht.

Für Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles ist der Mindestlohn ein Erfolg. "Wir stärken das Einkommen der arbeitenden Bevölkerung. Rund 50.000 Menschen müssen nicht mehr ihren Lebensunterhalt mit Hartz IV aufstocken", bilanzierte sie beim Besuch einer Brasserie in Berlin. "Wir haben keine Arbeitsplatzverluste. Und die große Mehrheit in Deutschland ist für den Mindestlohn", erklärte sie.

Bewertung nach Dialog

Derzeit führt das Bundesarbeitsministerium mit vielen Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften einen Branchendialog zum Mindestlohngesetz. Bei der Bestandsaufnahme tragen alle Beteiligten zusammen, was gut läuft, und welche Probleme in der Praxis bestehen. Auf dieser Grundlage lassen sich dann die ersten Erfahrungen mit dem gesetzlichen Mindestlohn bewerten.

Der aktuell geltende flächendeckende Mindestlohn von 8,50 Euro entspricht etwa 52 Prozent des mittleren Stundenlohns in Deutschland. Deutschland liegt damit unter dem Niveau, das in Frankreich, Belgien und Niederlanden gilt. In Westdeutschland können 13 Prozent der Beschäftigten vom Mindestlohn profitieren, in Ostdeutschland rund 20 Prozent. Rund zwölf Prozent der Betriebe müssen sich auf den Mindestlohn einstellen. Je nach Branche und Betriebsgröße sind Betriebe unterschiedlich betroffen: Vor allem im Gastgewerbe, im Einzelhandel, in der Nahrungsmittel- und Genussmittelbranche, bei den Sonstigen Dienstleistungen sowie bei Verkehr und Lagerei gab es bislang Stundenlöhne unterhalb von 8,50 Euro.

Arbeitgeber dokumentieren Arbeitsstunden

Um sicherzustellen, dass die Arbeitnehmer tatsächlich für jede Arbeitsstunde richtig bezahlt werden, sind Arbeitgeber verpflichtet, die Arbeitsstunden zu notieren.

Bundesarbeitsministerin Nahles ließ sich in der kleinen Brasserie mit nur wenigen Angestellten erläutern, wie groß der Aufwand für die Dokumentation ist. Die Inhaberin Jana Posdziech bekräftigte, dass es pro Woche nur wenige Minuten brauche, um die Arbeitszeiten zu erfassen. "Auch die Mitarbeiter begrüßen die Dokumentation. Denn so sind alle Arbeitsstunden nachvollziehbar", sagte sie.

Die Dokumentationspflicht gilt generell nur für geringfügig Beschäftigte - eine Ausnahme sind die Minijobber im privaten Bereich. Zudem gilt sie für Wirtschaftsbereiche, die im Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz genannt sind und in denen eine besondere Missbrauchsgefahr besteht. Dazu zählen etwa das Baugewerbe, Gaststätten und Herbergen, der Speditions-, Transport- und Logistikbereich, Unternehmen der Forstwirtschaft sowie Gebäudereinigung, Messebau und Fleischwirtschaft. Auch Zeitungszustellerinnen und -zusteller und Beschäftigte bei Paketdiensten müssen regelmäßig ihre Arbeitszeit aufzeichnen.

Mehr Klarheit für einzelne Branchen

Seit Einführung des Mindestlohnes am 1. Januar 2015 hat die Bundesregierung inzwischen mit einigen Klarstellungen für Rechtssicherheit im Umgang mit dem Mindestlohn gesorgt.

So fallen ehrenamtliche Tätigkeiten nicht unter den Mindestlohn. Es muss sich dabei aber tatsächlich um ein Ehrenamt und nicht etwa um einen Minijob handeln. Einem Vereinsmitglied etwa, das in einer Wald- oder Wanderhütte ausschenkt, darf lediglich eine Aufwandsentschädigung bezahlt werden. Auch für Vertragsamateure im Sport gilt kein Mindestlohn.

Für ausländische Lkw-Fahrer auf Durchreise ist der Mindestlohn ausgesetzt. Derzeit prüft die EU-Kommission, ob durch den deutschen Mindestlohn Spediteuren aus anderen EU-Staaten Nachteile entstehen. Bei Schaustellern dürfen Kost und Logis, wie bei Saisonkräften in der Landwirtschaft, zum Teil auf den Lohn angerechnet werden.

Nur wenige Übergangsregelungen

Um den Branchen, deren Löhne zurzeit deutlich unter 8,50 Euro liegen, den Einstieg in den Mindestlohn zu erleichtern, gelten bis zum 31. Dezember 2016 Übergangsregelungen.

Für Erntehelfer wurde eine auf vier Jahre befristete Sonderregelung vereinbart, um die Einführung des Mindestlohns für diese Branche zu erleichtern. Die Grenze für die sozialabgabenfreie kurzfristige Beschäftigung wird von 50 auf 70 Tage angehoben. Zeitungsausträger haben 2015 Anspruch auf 75 Prozent und 2016 auf 85 Prozent des gesetzlichen Mindestlohns. 2017 müssen sie die vollen 8,50 Euro erhalten.

Langzeitarbeitslose haben es immer noch schwer, einen Arbeitsplatz zu finden. Um ihnen den Einstieg zu erleichtern, sollen sie in den ersten sechs Monaten einer Beschäftigung auch unter dem Mindestlohn bezahlt werden können. Ob diese Regelung hilft, Langzeitarbeitslose besser in den Arbeitsmarkt zu bringen, wird Mitte 2016 überprüft.

Arbeitsplätze gehen nicht verloren

Nahles sieht bislang keine negativen Auswirkungen auf dem Arbeitsmarkt. "Zwar ist die Zahl der Minijobber seit Januar 2015 zurückgegangen, aber wir haben einen Zuwachs bei der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung. Das haben die Arbeitsmarktdaten gezeigt." Es sei aber noch zu früh, diese Zahlen abschließend einzuordnen.

Auch die Dokumentationspflicht gäbe keinen Anlass zu glauben, dass überflüssige Bürokratie zu Beschäftigungsverlust führe. "Der Mindestlohn hat nicht zu Verwerfungen geführt", sagte Nahles.

Mindestlohn-Kommission berät regelmäßig über Anpassung

Zum 30. Juni 2016 wird die Höhe des derzeit geltenden Mindestlohns in Höhe von 8,50 Euro erstmals überprüft. Dann werden Gewerkschaften und Arbeitgeber in der Kommission darüber beraten, wie hoch der Mindestlohn ab dem 1. Januar 2017 sein wird.

Orientierung bei der Festsetzung des Mindestlohns gibt die Tarifentwicklung in Deutschland. Die Kommission prüft, welcher Mindestlohn einen angemessenen Mindestschutz für die Beschäftigten bietet, faire Wettbewerbsbedingungen ermöglicht und die Beschäftigung nicht gefährdet. Das Gesetz sieht ab 2017 vor, alle zwei Jahre den Mindestlohn anzupassen.